In Finnland wird bereits seit Anfang 2017 mit Grundeinkommen experimentiert. Ist Frankreich das nächste Land mit eigenen Pilotprojekten? Die Zeichen stehen gut – schon nächstes Jahr könnten mehrere Grundeinkommens-Pilotprojekte beginnen. Bereits 13 von Frankreichs insgesamt 96 Départements haben für 2019 den Start dreijähriger Grundeinkommens-Pilotprojekte angekündigt.
Möglich machen soll dies ein Gesetz, das die Verwendung von finanziellen Mitteln aus dem Bereich Sozial- und Wohnungshilfe als Grundeinkommen ermöglicht. Die Idee dazu hatten Denise Greslard Nédélec und Jean-Luc Gleyze bereits 2016. Beide sitzen in der Regierung des Départements Gironde in Süd-West-Frankreich – unser Kollege Steven hat die beiden in Bordeaux getroffen.
Die Frage nach dem passenden Grundeinkommensmodell
Denise Greslard Nédélec hat in den letzten zwei Jahren viel Vorarbeit geleistet, um von verschiedenen Gruppen in der französischen Gesellschaft zu erfahren, welche Aspekte des Grundeinkommens für sie wichtig sind. Hierfür hat sie Arbeitsgruppen gebildet, die sich unter anderem aus Vertreter*innen aus der Wirtschaft, Gewerkschaften, Universitäten oder dem Non-Profit-Sektor zusammensetzen. Die verschiedenen Gruppen haben unabhängig voneinander Vorschläge für regionale Grundeinkommensmodelle erarbeitet.
Aber nicht nur die Arbeitsgruppen, sondern auch alle anderen Menschen in der Bevölkerung hatten die Möglichkeit, ihre Ideen einzubringen. Mit Hilfe eines eigens entwickelten Grundeinkommen-Simulators wurden spielerisch unterschiedliche Fragen zum Themenfeld Grundeinkommen gestellt. Die folgende Abbildung zeigt einen Ausschnitt.
Noch ist nicht entschieden, ob die einzelnen Départements ihr jeweiliges Modell umsetzen. Die Tendenz geht zu einem gemeinsamen Grundeinkommensmodell für alle Pilotprojekte. Die Höhe des Grundeinkommens wird voraussichtlich 850 Euro betragen.
Weniger Verwaltung, mehr Menschlichkeit
Für ihr Département hat Denise Greslard Nédélec ganz konkrete Erwartungen. Sie ist unter anderem für soziale Fragen zuständig und hört häufig in Gesprächen mit Sozialarbeiter*innen, dass sie Menschen eher verwalten als ihnen wirklich helfen zu können, sich weiterzubilden und aus finanziellen oder familiären Schieflagen herauszufinden. Die Angestellten der Arbeitsagenturen und die Bezieher*innen von staatlichen Hilfen klagen über den hohen Verwaltungsaufwand und über die Verrechnung von kleinen Einkünften mit Sozialleistungen, die es nur sehr schwer möglich macht, über den nächsten Monat hinaus zu planen. Ein Grundeinkommen, wie es sich Denise Greslard Nédélec für ihr Département vorstellt, könnte dazu führen, dass der bürokratische Aufwand deutlich sinkt.
Lösungen für Jugendarbeitslosigkeit und die Herausforderungen der Landwirtschaft
Die unterschiedlichen Départments, die Grundeinkommens-Pilotprojekte planen, haben mit individuellen Herausforderungen zu kämpfen. So stellt das Grundeinkommen beispielsweise eine Antwort auf Jugendarbeitslosigkeit oder die Planungsunsicherheiten in der Landwirtschaft dar. Eine Frage steckt in allen Pilotprojekten gleichermaßen: Was passiert mit Menschen, wenn die Existenzangst wegfällt?
Wissenschaftliche Begleitung der Pilotprojekte
Um unter anderem diese Frage beantworten zu können, wird der Gesetzesentwurf gemeinsam mit einem Forschungsinstitut erarbeitet. Die Pilotprojekte sollen wissenschaftlich begleitet werden. Geplant ist die Erhebung repräsentativer Daten, die einen Einblick in die Wirkung von Grundeinkommen auf verschiedene Lebensbereiche der Teilnehmer*innen wie beispielsweise Gesundheit, Arbeitsleben und zwischenmenschliche Beziehungen ermöglichen.
Nur noch Emanuel Macron muss zustimmen
Im besten Falle sind die Pilotprojekte die Grundlage für den Start eines flächendeckenden Grundeinkommens in Frankreich. Bis dahin gilt es aber noch einige Hürden zu nehmen: Diesen Sommer muss der französische Präsident Emmanuel Macron seine Zustimmung geben, nur dann kann der Gesetzesentwurf Ende des Jahres zur Abstimmung kommen und als neues Gesetz verabschiedet werden.
Denise Greslard Nédélec ist zuversichtlich. Sie sagt, viele Menschen verstünden langsam, dass mit Grundeinkommen nicht alle Sozialleistungen wegfallen. “Unsere Gesellschaft bekommt das Grundeinkommen, auf das wir uns einigen.” Sie unterstreicht damit die Wichtigkeit einer breiten gesellschaftlichen Debatte darüber, wie wir in Zukunft leben möchten. In unserem Gespräch sagt Jean-Luc Gleyze: “Ich bin neugierig auf Grundeinkommen. Ich möchte es ausprobieren. Natürlich wissen wir nicht, ob dann die Mieten steigen oder die Preise für Lebensmittel.” Es gäbe natürlich generell keine Garantie dafür, dass mit Grundeinkommen all das eintritt, was wir uns wünschen, sagt er weiter. Aber genau dafür seien diese zeitlich limitierten Experimente gedacht.
Die Zuversicht und der Glaube daran, was Grundeinkommen alles bewirken kann, sind größer als die Angst.
Großes mediales Interesse für Grundeinkommen
Diese Aufbruchstimmung konnte auch durch den Misserfolg des Themas Grundeinkommen im Wahlkampf für die Präsidentschaft im letzten Jahr nicht getrübt werden. Das zeigt auch der Erfolg unserer Schwesterorganisation “Mon Revenu de Base” in Frankreich. Im Dezember 2017 wurden die ersten drei Grundeinkommen verlost. Im Februar folgte bereits das vierte. Die Verlosung von Grundeinkommen wurde von der französischen Presse ähnlich enthusiastisch aufgenommen wie hier in Deutschland.
Wenn die Grundeinkommensexperimente in Frankreich wirklich starten sollten, wird der Kreis der Personen, die das Grundeinkommensgefühl kennen, deutlich größer und die Idee immer greifbarer.
Wir verfolgen die spannenden Entwicklungen in Frankreich für euch weiter und halten euch auf dem Laufenden.