Zwei Schwestern gewinnen Grundeinkommen: Rachel gehört zu den Gutverdienenden, Judith ist Geringverdienerin. Wirkt das Grundeinkommen auf die eine anders als auf die andere? Malina hat sie zum Doppelinterview getroffen.
Dieses Interview fand im Anschluss an das Grundeinkommensjahr von Rachel und Judith statt. Der Lohnunterschied der beiden Schwestern ist inzwischen geringer geworden: Judith wird für ihre Projekte besser bezahlt und Rachel hat ihre Arbeitsstundenzahl reduziert.
Unser Thema Das Ende der Ungleichheit stellt die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich in den Vordergrund – und blickt auf verschiedene Möglichkeiten, diese zu überwinden.
Rachel, du bist Wirtschaftsmathematikerin. Judith, du arbeitest als Bühnenbildnerin. Vermutlich investiert ihr ähnlich viele Arbeitsstunden in eure Jobs. Die Bezahlung ist aber sicherlich unterschiedlich. Wie viel verdient ihr?
Rachel:Ich habe das große Glück, dass der Job, den ich gerne mache, auch gut bezahlt wird. Ich erhalte, wenn ich Vollzeit arbeite, ungefähr 5.000 Euro netto pro Monat. Bis zu meiner jetzigen Position konnte ich immer mit komfortablen Gehaltssteigerungen rechnen, von Jahr zu Jahr. Das geht zwar in dem Ausmaß nicht immer weiter, aber zumindest mit einem Ausgleich der Inflation kann ich auch weiterhin rechnen.
Aber ich will schon länger weniger arbeiten und mehr Zeit haben für anderes. Mein Job ist leider wie so eine Krake: Der nimmt immer mehr, als man geben will. Das ist nicht so leicht zu begrenzen.
Judith: Mein Lohn fällt sehr unterschiedlich aus, je nach Theater und Auftraggeber*in. Auf der letzten jährlichen Einkommenssteuer stand, dass ich 15.000 Euro zu versteuerndes Einkommen habe. Aber was das jetzt genau heißt? Das rechnet sich einfach ein bisschen anders, das ist kein reines Netto. Gefühlt habe ich schon ein bisschen mehr als 1.000 Euro im Monat zur Verfügung. Mal sehen, was jetzt die nächste Abrechnung bringt.
In der Summe geht’s mir gerade sehr gut, es fehlt mir an nichts. Ich habe auch trotz prekärer Verhältnisse nie wirklich existenzielle Not verspürt, zumal ich ja auch sehr gut familiär angebunden bin. Ich hatte immer das Gefühl, ich könnte sowohl meine Schwester als auch meine Eltern fragen, wenn es jetzt wirklich eng werden würde.
Rachel: Ja! “Verdienen” und “bekommen” ist ja immer zweierlei. Unser jeweiliger Lohn steht in keinem Verhältnis zu dem, was wir eigentlich verdienen. Ist auch schwer vergleichbar: Festanstellung und Selbstständigkeit.
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Was bedeutet für euch Geld, was verbindet ihr damit?
Rachel:Sicherheit! Das ist das Wichtigste daran. Und die Freiheit, Dinge, die ich gerne machen möchte, umsetzen zu können. Frei an meinen Werten orientiert entscheiden zu können.
Ich könnte mit Geld und meiner Familie auch eine Pauschalreise für 10.000 Euro in die Karibik buchen. Das ist aber nicht das, was wir gerade wollen. Und was auch mit Blick auf den Klimawandel nicht sinnvoll wäre.
Judith:Ich hätte jetzt spontan gesagt: Gar nicht so viel. Geld hängt für mich nicht so sehr mit konkreten Zahlen zusammen. Natürlich ist es was Reelles, entweder ist es auf dem Konto oder nicht. Aber das mit der Sicherheit ist natürlich ein Aspekt. Mit Grundeinkommen war das schon schön: Das zusätzliche Einkommen hat mich einfach entspannter gemacht, ich konnte mit viel mehr Gelassenheit durchs Leben gehen.
Würdet ihr für einen Monat eure Berufe miteinander tauschen?
Rachel (lacht):Ist zumindest ein sehr großer inhaltlicher Abstand zwischen unseren beiden Berufen. Mit zwei Monaten Übergabe könnte man einen Monat lang tauschen.
Judith (lacht): Ich glaube nicht, dass wir in zwei Monaten ein Wirtschaftsmathematik-Studium in mir installieren könnten.
Rachel: Ich berechne ja selber gar nichts mehr. Es gäbe schon Sachen, wo dein Organisationstalent gebraucht wird, da würde ich dir ein passendes Törtchen für den Monat zurecht schnitzen.
Judith: Ja okay, dann würde ich mir so ein schönes Business-Outfit raussuchen – und organisieren kann ich. Aber es wäre keine Sehnsucht von mir, muss ich sagen. Obwohl ich Rachel sehr bewundere für das, was sie da tut und auch stolz bin, eine Schwester zu haben, die sowas kann.
Rachel:Wenn ich meine 15 Jahre Erfahrung in der Branche in dein Hirn pflanze, könntest du sofort loslegen. Ich glaube, der ganze Erfahrungshintergrund macht viel aus. Ich könnt’ ja auch kein Bühnenbild machen. Irgendwas einfallen tät’ mir wohl auch, ob man was damit anfangen kann, ist dann ‘ne ganz andere Frage.
Ihr habt bis Herbst 2020 Grundeinkommen bekommen. Was nehmt ihr aus eurem Jahr mit Grundeinkommen mit?
Rachel:Die Hälfte meines Grundeinkommens habe ich zurückgelegt für die Ideen, die das Grundeinkommen bei mir ausgelöst hat, für die ich mir aber noch keine Zeit genommen habe.
Die andere Hälfte habe ich als Grundeinkommen weitergegeben und möchte es auch nicht zurückgezahlt bekommen. Eigentlich hat die Person dasselbe Verständnis wie ich vom Konzept Grundeinkommen. Trotzdem kann es sein, dass sie mir das Geld doch zurückzahlen will. Dann muss ich das auch noch verbrauchen.
Judith: Die Erfahrung mit dem Grundeinkommen, mal etwas mehr Geld als unbedingt nötig zu haben, hat schon sehr viel verändert. Meine Grundhaltung hat sich geändert und die bleibt auch. Ich bin entspannter geworden und treffe Entscheidungen nicht mehr aus einer finanziellen Angst heraus. Ich verschwende nicht mehr so viel Zeit und Energie darauf, abzuwägen, ob ich mir eine Anschaffung wirklich leisten kann.
Seitdem ich mich dahingehend locker gemacht habe, läuft es bei mir komischerweise sowieso finanziell besser denn je. Trotz Corona hab’ ich im Moment mehr Aufträge als ich annehmen kann. Die versuche ich an Arbeitskolleg*innen weiterzuleiten, so haben alle was davon.
Rachel:Ja, du kannst jetzt viel freier entscheiden, ob du einen Auftrag ablehnst oder annimmst.
Judith: Ja, ich habe gerade gestern überlegt, ob ich einen Auftrag mit 12.500 Euro Gage nicht doch ablehnen soll, weil er eben auch sehr zeitaufwändig wäre. Da werde ich locker drei Monate beschäftigt sein, trotzdem wäre so eine Abwägung vor zwei Jahren noch unvorstellbar für mich gewesen.
Jetzt frage ich bei Projektanfragen eher: Bringt mir das was? Habe ich da Lust drauf? Steht das im Verhältnis zu meiner Lebenszeit? Es ist nicht mehr ausschlaggebend, ob es da 400 Euro mehr gibt oder nicht. Und andersherum nehme ich ohne schlechtes Gewissen weniger gut bezahlte Projekte an, rein aus Interesse und weil ich Lust auf Inhalte und Leute habe.
Außerdem bleibt, dass ich nachhaltiger konsumiere. Mit dem Grundeinkommen fiel es mir viel leichter den Nachhaltigkeitsfilter über Einkäufe zu legen. Das hat was angestoßen bei mir. Auch meine Arbeit will ich nachhaltiger gestalten. Das Credo für mein nächstes Bühnenbild: So nachhaltig wie möglich!
Was macht das Bedingungslose des Grundeinkommens für euch aus? Habt ihr Erfahrungen mit Neid gemacht?
Rachel:Eine meiner ersten Erfahrungen mit dem Grundeinkommen war, dass ich gespürt habe, dass es mir eine gute Bekannte gar nicht gönnt, weil sie weiß, dass ich auch ohne genug hatte. Ein Stück weit denke ich das ja selbst. Trotzdem hab’ ich das jetzt gewonnen und es hat für mich eine Bedeutung und etwas ausgelöst. Und von der Idee des Grundeinkommens her steht es mir natürlich genauso zu wie jedem*r anderen.
Also gönnt man es jetzt den Gutverdiener*innen, dass sie auch noch ein Grundeinkommen bekommen sollen? Ich geh’ mal davon aus, dass die Finanzierung darauf basieren wird, dass die Reicheren mehr abgeben müssen. Wenn jemand pro Jahr 40.000 Euro abgibt und dann 12.000 Euro zurückbekommt, dann hat er oder sie immer noch genug beigetragen.
Ich würde sagen: Ganz selbstverständlich steht es auch jedem*r zu, der*die durch hohe Einkommen dazu beiträgt, dass es ein Grundeinkommen geben kann.
Judith: Am Ende ist das dann alles eine Rechenaufgabe. Wenn das Grundeinkommen staatlich organisiert wäre, finde ich, dass es ein ganz wesentlicher Faktor ist, dass das alle kriegen.
Ich hatte am Anfang Schwierigkeiten, mein Hirn um diesen Begriff "bedingungslos" zu wickeln, weil ich wie du, Rachel, gedacht habe, dass es ja andere Leute nötiger haben als ich. Ich hab’ echt Monate dafür gebraucht, bis ich nicht mehr überlegt habe, an welche Hilfsorganisationen ich das Grundeinkommen verteilen sollte, sondern dass es okay ist, das für mich selbst zu verwenden. Ich hab' jetzt endlich mal eine Art Altersvorsorge angelegt.
Weil wir gerade über die Finanzierung per Steuerreform sprechen: Wäret ihr bereit, das Grundeinkommen über die Einkommensteuer mitzutragen?
Judith: Natürlich. Wenn die Finanzierung zumindest zum Teil über die Einkommenssteuer geht, ist ja auch sichergestellt, dass der Betrag des*der Einzelnen an den jeweiligen Möglichkeiten orientiert ist.
Rachel: Wir sind beim Spitzensteuersatz und der könnte, na klar, auch höher sein. Ich glaube schon, dass man endlich mal ein paar größere Schritte in die Richtung gehen müsste: Seiner Gesellschaft so viel zu vertrauen und ein Grundeinkommen zuzutrauen. Koste es, was es wolle.
Danke euch beiden, dass ihr uns diese Einblicke gegeben habt!
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