Als unsere Kollegin Magdalena aus dem Winterurlaub in Tirol zurückkommt, ahnt sie nicht, dass sie die nächsten Tage in Corona-Quarantäne zu Hause verbringen wird. Wie lebt und arbeitet man in völliger Isolation? Ein Tagebuch.
Tag 1: Ein Tweet mit Spätfolgen
Als der Gesundheitsminister twittert, dass alle Menschen sich freiwillig in heimische Quarantäne begeben sollten, die in den vergangenen 14 Tagen in Italien, Spanien oder Österreich waren, steige ich in Berlin gerade in die überfüllte U-Bahn. Ein junger Mann trägt einen Mundschutz – ansonsten zeigt das öffentliche Leben kaum Anzeichen der Coronakrise. Von Jens Spahns Tweet erfahre ich an diesem Freitagabend noch nicht.
Tag 4: Plötzlich bin ich eine Gefahr für andere
Als ich wie jeden Montagmorgen die Neuigkeiten in unserem internen Chatprogramm Slack durchgehe, stoße ich auf den Eintrag meines Kollegen Jannes: "Seit gestern Abend steht fest, dass ich in Quarantäne muss, weil ich in den letzten zwei Wochen in Tirol war. Magdalena, du warst ja zur selben Zeit am selben Ort. Ich glaube, für dich gilt das Gleiche."
Kurz bin ich ratlos, was ich jetzt tun soll: Seit meiner Rückkehr aus Tirol war ich nicht nur im Büro, sondern habe auch Freund*innen getroffen. Habe ich möglicherweise alle angesteckt? Sorge und das seltsame Gefühl, plötzlich eine Gefahr für andere zu sein, kommen in mir auf.
Ich betreibe Schadensbegrenzung, indem ich alle Menschen informiere, mit denen ich in der Zwischenzeit Kontakt hatte. Bislang fühle ich mich topfit. Allerdings sehe ich mich in meiner Einzimmerwohnung schon vereinsamen. Wer weiß, vielleicht folgt auf die freiwillige Quarantäne ja noch eine Ausgangssperre?
Zu meiner Erleichterung beschließt mein Mann, sich solidarisch – und verantwortungsvoll – zu zeigen und freiwillig mit mir am nächsten Tag in Quarantäne zu gehen.
Tag 5: Das Büro im Rucksack
Wir alle bei Mein Grundeinkommen arbeiten bis auf Weiteres im Homeoffice. Für mich ist das erst mal keine große Umstellung, denn ich fahre für gewöhnlich nur montags ins Büro, wenn die meisten unserer Meetings stattfinden. Den 45-minütigen Arbeitsweg spare ich mir an den übrigen Tagen, unserer flexiblen Arbeitsgestaltung sei Dank.
Der Meeting-Montag findet jetzt virtuell statt. Dank der Videokonferenz-Technik sehe und höre ich meine Kolleg*innen in kleinen Fenstern auf meinem Bildschirm aufgereiht. Dass wir uns nicht nur hören, sondern auch sehen können, hält unsere zwischenmenschliche Verbindung aufrecht.
Am Abend kommt mein Mann mit dem Fahrrad aus seiner Wohnung zu mir – einen Rucksack mit dem Nötigsten, um bei mir arbeitsfähig zu bleiben, auf dem Rücken.
Tag 6: Die Sehnsucht nach draußen
Nach dem Frühstück funktionieren mein Mann und ich den Küchentisch zum Arbeitsplatz für ihn um. In Sichtweite tippen wir nun beide vor uns hin und die Quarantäne fühlt sich erstaunlich normal an.
Als mittags draußen die Sonne scheint und frühlingswarme Luft durch die offenen Fenster strömt, sehnen wir uns aber doch nach einem Spaziergang. Kurzerhand polstern wir das Fensterbrett mit Kissen und schlürfen eine Tasse Tee auf diesem improvisierten Balkon.
Tag 7: Reale Hektik im virtuellen Büro
In den Nachrichten wird nun vermehrt über Menschen berichtet, für die die Coronakrise eine existenzielle Bedrohung darstellt, weil sie ihrer Erwerbsarbeit nicht wie gewohnt nachgehen können. Die Berlinerin Tonia Merz hat deshalb eine Petition gestartet, in der sie ein sechsmonatiges Grundeinkommen fordert.
Wir bei Mein Grundeinkommen unterstützen die Petition und beschließen kurzerhand, eine Extra-Verlosung von sechsmonatigen Grundeinkommen anzusetzen, um vielleicht wenigstens einen kleinen Teil der Betroffenen unterstützen zu können.
In unserem virtuellen Büro wird es deswegen plötzlich hektisch: Ein Konzept muss her, Textaufträge vergeben und Zeitpläne festgelegt werden. Wer bisher dachte, im Homeoffice lümmelten Mitarbeiter*innen faul auf der Couch, wird in den kommenden Tagen eines Besseren belehrt.
Ich hoffe, dass der Arbeitsalltag, wie wir ihn bei Mein Grundeinkommen schon längst leben, endlich Schule macht und die Arbeitswelt insgesamt ein Stück weiter ins 21. Jahrhundert rückt.
Tag 8: Termine, Termine, (kaum noch) Termine
Weil es in meiner Wohnung absolut still ist, kann ich mich viel besser konzentrieren als in unserem Neuköllner Großraumbüro, wo immer irgendein Meeting stattfindet, jemand telefoniert, die Kaffeemaschine zischt oder der Postbote an der Tür läutet. Im Homeoffice ist der Weg in den Workflow für mich sehr kurz.
Ich schmunzle über eine Karikatur im New Yorker Magazin, auf der ein Mann im Homeoffice vor seinem Laptop sitzt. In der Denkblase über seinem erstaunten Gesicht steht: „Mein Gott, alle diese Meetings hätten tatsächlich durch E-Mails ersetzt werden können.“
Ich streiche heute mehr Termine aus meinem Kalender als neue hinzukommen: Teamtage – abgesagt, Konferenz – abgesagt, Theateraufführung – abgesagt, Reise – abgesagt. Dafür klingelt jetzt ständig das Telefon. Ich nutze die Gespräche, um in der Wohnung auf und ab zu gehen. Langsam spüre ich Bewegungsmangel.
Tag 11: Digitaler Kaffeeklatsch
Ein wenig Angst vor Vereinsamung haben wir wohl trotz Video-Meetings alle. Ab heute stehen nicht nur reguläre Termine per Videokonferenz im Kalender, sondern auch eine gemeinsame virtuelle Kaffeepause. Die fünf Minuten privaten Austauschs, die sonst an der Kücheninsel im Büro stattfinden, werden zum wichtigen Mittel, das Team zusammenzuhalten.
Tag 12: Große Nähe trotz großer Distanz
In unserem internen Chatprogramm gibt es einen Kanal, der nur für Nebensächliches da ist: Buchempfehlungen, Demoaufrufe, Wohnungsanzeigen. Dieser Tage wird er viel genutzt, meistens geht es – natürlich – um Corona: Wir teilen Fotos aus dem Homeoffice, schlaue Einfälle gegen den Lagerkoller, Freizeittipps für zu Hause und auch Spekulationen über die nächsten politischen Schritte.
Ich spüre durch diesen Austausch ein großes Gefühl der Gemeinschaft. Und frage mich, ob das wohl viele Menschen über ihr Arbeitsumfeld sagen würden?
Als ich einem Video-Meeting beitrete, führt meine Kollegin Malina gerade alle anderen virtuell durch ihre Wohnung. Das ist ein netter Nebeneffekt dieser Ausnahmesituation, denke ich mir. Obwohl wir weiter voneinander entfernt sind als sonst, lernen wir uns noch ein Stückchen besser kennen.
Logisch, dass beim musikalischen Golo Gitarren im Hintergrund zu sehen sind und bei der belesenen Vroni ein endloses Bücherregal. Durch Christians Arbeitszimmer flitzen ab und zu seine Töchter, die jetzt zu Hause unterrichtet werden. Und Kirsten, die gern reist, nimmt uns auf ihrem Laptop mit nach Balkonien.
Tag 13: Sonnenlicht am Ende des Tunnels
Ich bin immer noch kerngesund und so geht meine Quarantäne morgen zu Ende. Dank der Stunden im Home Office, die mir einen stetigen Austausch mit meinen Kolleg*innen bescherten, waren die letzten Tage für mich eine kurzweilige und produktive Zeit.
Trotzdem freue ich mich darauf, wenn alles wieder normal ist – und auf einen Spaziergang in der Sonne!
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