Wir hatten eine ziemlich verrückte Woche! Komm mit hinter die Kulissen des Pilotprojektes Grundeinkommen. Eine Chronik unserer bewegendsten Momente.
Montag, 21.30 Uhr: In unserem Team herrscht eine angespannte Stimmung. Morgen früh geht es nach zwei Jahren Vorbereitung endlich los. Wir stellen der Öffentlichkeit das erste deutsche Pilotprojekt zum Grundeinkommen vor.
Es ist in jeder Hinsicht unser größtes Projekt bisher. Trotzdem hat auf den letzten Metern alles reibungslos geklappt: Die neue Website, auf der man sich zur Teilnahme bewerben kann, ist fertig. Die hundertseitige Projektmappe ist fertig. Die von den Forscher*innen entwickelten Fragebögen sind fertig. Eigentlich könnten wir ganz entspannt sein...
Aber natürlich wissen wir alle, dass bei so einem komplexen Projekt noch vieles schiefgehen kann. Wie groß wird das Interesse der Menschen an unserer Idee wirklich sein? Werden viele Medien zur großen Pressekonferenz morgen früh kommen? Haben wir unser Ziel, eine Million Menschen zum Mitmachen zu bewegen, vielleicht viel zu hoch angesetzt?
Es fühlt sich an wie die Ruhe vor dem Sturm. In dieser Nacht schlafen die wenigsten von uns besonders gut.
Dienstag, 07.45 Uhr: Wir legen den Schalter um und stellen die neue Website online. Jetzt ist das Pilotprojekt Grundeinkommen plötzlich kein Geheimnis mehr. Ein tolles Gefühl!
Unsere Entwickler*innen sind früh auf den Beinen. Sie überprüfen, ob alles so funktioniert wie erwartet. Bisher gibt es nur kleine Macken, die schnell beseitigt sind. Schon kurz nach 8.00 Uhr meldet Joschka: "Leute, wir haben mehr als eine Bewerbung pro Sekunde!" Dabei haben wir doch bisher kaum jemandem von unserem Forschungsprojekt erzählt.
Das Pilotprojekt-Team macht sich per Großraumtaxi auf den Weg in das Berliner Haus der Bundespressekonferenz. Es regnet in Strömen. Ist das etwa ein schlechtes Omen? Abergläubisch ist hier niemand. Nicht umsonst heißt der Slogan unseres Projekts: Wir wollen es wissen.
Dienstag, 10.00 Uhr: Die Pressekonferenz beginnt. Der Saal ist so voll von Journalist*innen, wie es die Corona-Abstandsregeln erlauben. Auf der Bühne moderiert Janine, Micha und die Forscher*innen Prof. Dr. Jürgen Schupp vom DIW und Dr. Susann Fiedler vom Max-Planck-Institut stellen das Pilotprojekt der Öffentlichkeit vor und beantworten Fragen.
Im Büro und an unseren Arbeitsplätzen im Home Office sitzt das gesamte Team gebannt vor dem Bildschirm und verfolgt diesen Moment. Dann ein kleiner Schock: Die Live-Übertragung bei Youtube startet nicht. Erst mit ein paar Minuten Verzögerung können alle die Pressekonferenz verfolgen.
Dienstag, 11.36 Uhr: Nicht einmal zwei Stunden nach Start haben sich 50.000 Menschen beim Pilotprojekt beworben. Wir sind begeistert und starren auf den Zähler auf der Website, der ständig nach oben klettert.
Beim Presseteam laufen die Telefone heiß. Der Spiegel, die Süddeutsche Zeitung, Focus, Handelsblatt... alle wollen über das Pilotprojekt schreiben. Ein Interview-Marathon beginnt, der noch tagelang anhalten soll.
Kurze Zeit später schallt ein lautes "Woohooo!" durchs Büro: Wir sind in der 12 Uhr-Tagesschau gelandet. Wir ahnen, dass der Ansturm auf unsere neue Website jetzt erst richtig beginnen wird. Und siehe da: Um 13.14 Uhr sind aus 50.000 schon 100.000 Menschen geworden, die es wissen wollen.
Was soll jetzt noch schiefgehen?
Dienstag, 21.18 Uhr: Bei indischem Takeaway-Essen atmet das Pilotprojekt-Team im Büro zum ersten Mal durch. Was für ein Tag! Mittlerweile haben sich 300.000 Menschen beworben. So viele, dass es manchmal Stunden dauert, bis Bewerber*innen ihren Bestätigungslink per E-Mail bekommen. Diesen Stau werden wir und die E-Mail-Anbieter erst in den Tagen danach ganz aufgelöst bekommen.
Mittwoch, 12.20 Uhr: Eine halbe Million Bewerber*innen! Wir können die Geschwindigkeit kaum fassen, mit der unser Projekt an Bekanntheit gewinnt. Es sieht so aus, als würde es nur noch wenige Tage dauern, bis wir unser Ziel von einer Million Bewerber*innen erreichen.
"Wir brauchen eine Krisensitzung – wegen zu großem Erfolg", sagt Micha im Scherz. Wir beschließen, die Bewerbungsphase wie von Anfang an geplant für drei Monate geöffnet zu lassen. Denn alle Interessierten sollen dieselbe Chance zur Teilnahme erhalten. Die Forscher*innen bestätigen uns: Je mehr Menschen sich bewerben, umso hochwertiger werden die wissenschaftlichen Ergebnisse am Ende sein.
Die Debatte läuft an
Donnerstag, 08.30 Uhr: Was für eine Welle haben wir da losgetreten? Viele von uns wachen zu einem Interview im Deutschlandfunk auf, in dem Olaf Scholz, der SPD-Kanzlerkandidat, das Grundeinkommen als "Neoliberalismus" ablehnt. Armin Laschet und Hubertus Heil werden ihm in den kommenden Tagen folgen. Sie alle werden viel Gegenwind aus der Öffentlichkeit erhalten. Die Debatte läuft an.
Donnerstag, 14.32 Uhr: Unser Support-Team braucht dringend Hilfe. Mehr als 9.000 E-Mail-Anfragen haben Anna, Doro, Sarah und Toni in ihren Postfächern. Sie würden sie gerne alle so schnell wie möglich beantworten, aber das wird jetzt trotz endloser Schichten immer schwieriger.
Mehrere Kolleg*innen melden sich freiwillig, um das Support-Team zu unterstützen. Diese verrückte Woche stärkt auch unseren Teamgeist.
Freitag, 7.17 Uhr: Wofür wir uns drei Monate Zeit gegeben haben, haben wir in drei Tagen geschafft: Genau in dieser Minute meldet sich der 1.000.000ste Teilnehmende beim Pilotprojekt an. Darf man morgens schon feiern? Wir finden, in so einem Fall darf man.
Ohnehin arbeitet ein großer Teil unseres Teams seit Beginn der Corona-Pandemie von zuhause aus. Feiern heißt deswegen angedeutete, digitale Umarmungen vor dem Bildschirm. Aber heute Abend machen wir eine Ausnahme.
Freitag, 19.00 Uhr: Im Dachgarten einer Berliner Bar kommen wir zum ersten Mal seit Wochen wieder fast alle zusammen, um den Start des Pilotprojektes zu feiern. Unter freiem Himmel, natürlich mit Abstand und allen gebotenen Hygiene-Maßnahmen.
Wird es in den kommenden Tagen wieder etwas ruhiger werden bei Mein Grundeinkommen? Wer weiß. Gerade, als wir diese Chronik zusammentragen, klingelt schon wieder das Telefon. Die New York Times will über das erste deutsche Pilotprojekt zum Grundeinkommen schreiben...
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