Es ist der 6. November 2017 und Anne, Steven, Micha und ich stehen in der untergehenden Sonne am Ufer vor der Altice Arena in Lissabon, um ein Crowdfunding-Video zu drehen. Die letzten Wochen und die ganze letzte Nacht haben wir an einer neuen Kampagne gearbeitet – der #BasicIncomeChallenge. Jetzt ist es soweit, jetzt starten wir sie.
Gleichzeitig bereiten sich über 60.000 Menschen auf ihren Besuch der Web Summit vor – die größte Tech-Konferenz der Welt. In der Arena werden später an diesem Abend Tausende von ihnen mit lauten Bass-Sounds und Konfettikanonen eingestimmt. Dabei stellen portugiesische Staatsminister, Stephen Hawking per Videoübertragung und verschiedene Digitalunternehmer*innen drängende Fragen unserer Zeit:
Wie verändert uns das Internet? Welche Probleme kann technologischer Fortschritt für die Menschheit lösen? Wird künstliche Intelligenz den Menschen irgendwann überholen? Welche Ethik und welche Werte brauchen wir für das digitale Zeitalter?
Mittendrin werden wir sitzen, nachdem wir unser Video gedreht haben. Vier Weltverbesser*innen aus Berlin. Und wir haben unsere ganz eigene Frage mitgebracht:
Ist diese Tech-Welt bereit für Grundeinkommen?
Je länger wir uns mit Grundeinkommen beschäftigen, desto bewusster wird uns, dass wir erst am Anfang stehen. Am Anfang einer Revolution, die es so in der Menschheitsgeschichte noch nicht gegeben hat: die digitale Revolution. Sie verändert, wie wir uns als Menschen verstehen und wie wir zusammenleben, wie wir wirtschaften, uns fortbewegen, uns bilden und wie wir arbeiten. Ganz ähnlich, wie die Industrialisierung das Ende der Agrargesellschaft bedeutet hat, läutet die Digitalisierung das Ende unseres aktuellen Gesellschaftsmodells ein.
Was das konkret bedeutet, kann derzeit niemand sagen. Klar ist nur: Die Veränderung ist schnell, komplex und unübersichtlich und sie wird getrieben von denjenigen, die die neuen Technologien entwickeln und verstehen. Von den Menschen im Silicon Valley, in riesigen Digitalkonzernen und den Tech-Startups in allen Ländern der Welt.
Wer sind diese Menschen? Was treibt sie an? Wissen sie, dass sie mit ihren Innovationen, Produkten und Ideen die ganze Welt auf den Kopf stellen? Denken sie Politik und Gesellschaft eigentlich mit?
Wir finden es heraus – mit der #BasicIncomeChallenge
Unsere Annahme: Wenn die Leute hier verstehen, wie wichtig Grundeinkommen für unserer aller Zukunft ist, dann werden sie uns helfen eines zu crowdfunden. Sie werden sich genau wie wir wünschen, dass die Debatte größer, besser und konkreter wird.
Und wir wissen dank unserer Erfahrungen der letzten drei Jahre, dass es möglich ist.
Congratulations! This is your first Universal Basic Income!
Drei Tage lang tummeln wir uns zwischen tausenden Messeständen und Events und versuchen Menschen ins Gespräch zu bringen. Unsere Idee: Wir verschenken beklebte 5-Euro-Scheine und heißen die Menschen der Tech-Welt symbolisch in unserer Grundeinkommens-Gesellschaft willkommen. Die Reaktionen sind sehr unterschiedlich. Viele zeigen sich misstrauisch und sind verunsichert: Ist der Schein echt?
Einfach Etwas bedingungslos bekommen. Ohne Haken. Weil man Mensch ist. Auch darum geht es beim Grundeinkommen. Und auch wenn die meisten von uns sich dieses Gefühl wünschen, sehen wir an den Reaktionen, dass es oft schwieriger anzunehmen ist, als man ahnt.
Manchen fällt es auch schon leichter und sie freuen sich riesig. An unserem Stand begegnen wir Menschen aus aller Welt, die sich teilweise mit Tränen in den Augen bei uns bedanken für das, was wir politisch leisten. Sie verwickeln uns in Gespräche und lassen uns gar nicht mehr gehen. Wir sind berührt und dankbar für diese Erfahrung und freuen uns über jedes bisschen bedingungsloses Gefühl und Freude, was wir an diesen durch und durch kommerzialisierten Ort bringen.
Nach drei Tagen haben wir hunderte Menschen zum Twittern bewegt und 2.000 Euro gesammelt. Danke für die Unterstützung und das Mutmachen an alle Unterstützer*innen! Unser gesetztes Ziel für die #BasicIncomeChallenge haben wir leider nicht erreicht. Wir haben kein ganzes Grundeinkommen gesammelt.
Und jetzt?
Das Wochenende nach der Konferenz verbringen wir gemeinsam in Lissabon. Unsere Köpfe sind voll mit Eindrücken und Ideen und irgendwie sind wir auch verwirrt. Wir evaluieren die Kampagne, erzählen uns von unseren Erlebnissen. Wie geht es jetzt weiter? Wir wollen eine Gesellschaft, die sich für alle gut anfühlen kann. Und es gibt dafür noch so viel zu tun. Die Ungeduld macht uns rastlos. Und kreativ. Wir tun also auch am Ende der Tech-Konferenz wieder das, was wir immer tun, wenn uns unser Tatendrang überwältigt: Durchatmen und uns fragen, was der nächste Schritt ist.
Ist die Tech-Welt bereit für Grundeinkommen? Nach den gesammelten Erfahrungen glaube ich, obwohl wir unser Kampagnenziel nicht erreicht haben: ja, teilweise. Trotz allem Geschäftssinn und Startup-Talk – die übergeordneten Fragen der Konferenz waren ethischer Natur. Unser Ausflug in die Tech-Welt hat mir vor allem gezeigt, wie notwendig die Debatte über das Grundeinkommen in dieser Szene und auch international ist. Denn unsere Zukunft wird zu einem großen Teil dort entwickelt und beeinflusst. Wenn es also eine Bereitschaft gibt, diese Unterhaltung zu führen, dann heißt das für uns vielleicht, dass wir sie noch wirksamer und mutiger organisieren müssen.