Auf kein Ergebnis des Pilotprojekts hat die Öffentlichkeit mit so viel Spannung gewartet wie dieses: Wie wirkt sich das Grundeinkommen auf das Arbeiten aus? Mit keinem anderen Thema sind so viele Hoffnungen – aber auch Vorurteile – verbunden. Höchste Zeit, die Meinungen von den Fakten zu trennen.
"Es ist schwieriger, eine vorgefasste Meinung zu zertrümmern als ein Atom." Der Satz stammt angeblich von Albert Einstein, aber zuletzt gehört haben wir ihn von Prof. Dr. Jürgen Schupp aus dem Forschungsteam des Pilotprojekts Grundeinkommen. Das war bei der großen Pressekonferenz, auf der die Ergebnisse des Pilotprojektsvorgestellt wurden.
Wer verstehen will, was die Forschung nun über die Wirkung des Bedingungslosen Grundeinkommens auf das Thema Arbeit weiß – und wie dieses neue Wissen ab sofort die Grundeinkommens-Debatte verändern wird – der muss diesen Satz ernst nehmen.
Keine andere Meinung über das Grundeinkommen haben wir in den letzen zehn Jahren häufiger gehört als diese: 'Wenn wir alle Menschen bedingungslos finanziell absichern, dann geht doch niemand mehr arbeiten!' Gerne auch abgewandelt zu: 'Ich selbst bin ja fleißig, aber alle Anderen nicht!' Seit Jahren wird diese Meinung überall und ständig wiederholt: in Talkshows, in Parteitagsreden, am Küchentisch. Selbst hier in diesem Text steht sie jetzt schon wieder.
Das Glauben endlich durch Wissen ersetzen
Dass mit Grundeinkommen niemand mehr arbeiten würde, ist genau so eine "vorgefasste Meinung", von der Albert Einstein und Jürgen Schupp sprechen. Ein Totschlagargument, warum das mit dem Bedingungslosen Grundeinkommen auf keinen Fall funktionieren kann. Denn, wenn niemand mehr arbeitet, zahlt ja auch niemand mehr Steuern, aus denen sich so ein Grundeinkommen finanziert. Dann werden wir alle arbeitslos und arm. So einfach ist das – oder scheint es.
Das Problem ist: Die vorgefasste Meinung basiert auf nichts weiter als Glauben. Die Forschenden um Jürgen Schupp wollten diesen Glauben endlich durch Wissen ersetzen. Weil sich Meinungen nur durch Fakten ändern lassen, wenn überhaupt. Deswegen nahmen sie in das Pilotprojekt Grundeinkommen die wichtigsten Fragen zum Thema Arbeit auf: Hören Menschen mit Grundeinkommen wirklich auf zu arbeiten? Oder reduzieren sie zumindest ihre Stunden? Schulen sie um oder bilden sich weiter? Und wie zufrieden sind sie mit ihrer Arbeit?
Drei Jahre später haben die Forschenden nun ihre Antworten präsentiert. Schauen wir uns zuerst an, was sie herausgefunden haben – und danach, ob das reichen wird, um die vorgefassten Meinungen künftig zu ändern:
Jetzt ist es offiziell: Entgegen hartnäckiger Vorurteile hört mit Grundeinkommen niemand auf zu arbeiten.
1. Nicht weniger arbeiten
Man muss das so deutlich sagen: Die Meinung von den arbeitsscheuen Menschen, die mit Grundeinkommen sofort ihre Jobs aufgeben, ist ein Märchen. "Bedingungslose Geldzahlungen führen nicht zu einem Rückzug vom Arbeitsmarkt", stellte Prof. Dr. Frederik Schwerter bei der Pressekonferenz fest. Der Professor für Mikroökonomie an der Frankfurt School of Finance & Management hat im Pilotprojekt die individuellen Arbeitsmarkteffekte des Grundeinkommens untersucht.
In konkreten Zahlen: Vor dem Start der Studie arbeiteten 92 % aller Teilnehmenden, die das Grundeinkommen bekamen. Während der dreijährigen Studie stieg oder sank dieser Wert nie so, dass die Forschenden es als "signifikant" beschreiben würden. Und sechs Monate nach Ende der Studie lag der Anteil der Arbeitenden noch immer bei 93 %. In der Kontrollgruppe, die kein Grundeinkommen erhielt, waren alle Werte nahezu identisch. Kurzum: Das Grundeinkommen hat keinen messbaren Effekt darauf, ob jemand arbeiten geht oder nicht.
Wer hier etwas anderes erwartet hat, muss sich nicht schämen, denn selbst im Forschungsteam gab es dazu unterschiedliche Annahmen. Frederik Schwerter war wenig überrascht: "Das ist konsistent mit Studien, die schon lange zeigen, dass Erwerbsarbeit mehr als Broterwerb ist." Die Verhaltenspsychologin Prof. Dr. Susann Fiedler gibt gerne zu, dass sie hingegen selbst mit einem leichten Rückgang der Arbeitsquote gerechnet hatte: "Da habe ich mich sehr geschämt. Nicht, weil ich mich verschätzt habe, sondern weil ich einfach genau dasselbe Vorurteil mitgenommen habe wie alle anderen auch."
Für Samira, eine der Teilnehmenden an der Studie, stand das mit dem Willen zum Arbeiten ohnehin nie zur Debatte. Hören wir ihr stellvertretend für die mehr als 100 Menschen zu, auf deren Daten dieses Ergebnis basiert:
Ist das Vorurteil nun ein für alle Mal vom Tisch? Wohl nicht. Seitdem die Ergebnisse in der Welt sind, gibt es schon wieder neue Meinungen, die das neue Wissen anzweifeln. Die häufigste: 'Die Teilnehmenden haben bestimmt nur weitergearbeitet, weil die Studie zeitlich begrenzt war.'
Die Forschenden erkennen diesen Zweifel grundsätzlich an: Natürlich kann eine Simulation mit einem Grundeinkommen über drei Jahre nicht völlig ausschließen, dass sich einige Menschen mit einem lebenslangen Grundeinkommen anders entschieden hätten. Gleichzeitig haben die Forschenden das Pilotprojekt von Anfang an so geplant, dass sie dem Zweifel etwas Handfestes entgegensetzen können:
Sowohl die Altersgruppe der Teilnehmenden zwischen 21 und 40 Jahren als auch die Laufzeit von drei Jahren wurden bewusst gewählt: In dieser Lebensphase treffen viele Menschen wichtige Entscheidungen für ihre Zukunft – und genau diesen Planungshorizont wollten die Wissenschaftler*innen mit dem Pilotprojekt abdecken.
Prof. Dr. Susann Fiedler, die Psychologin im Pilotprojekt, erklärt das so: "Planungszeiträume bei Menschen zwischen 20 und 40 liegen bei ca. zwei Jahren." Drei Jahre seien gerade in dieser agilen Altersgruppe lang genug, "um sich sowohl hin als auch wieder zurück zu entscheiden. Also einen Job aufzugeben, ein Jahr reisen zu gehen, wieder zurückzukommen. Genügend Sicherheit zu haben, um genau diese Entscheidungen einmal durchzuprobieren."
Die Forschenden sind sicher, dass die Arbeitskontinuität, wie sie das nennen, ein belastbares Ergebnis des Pilotprojekts Grundeinkommen ist. Es sei "anzunehmen, dass auch für längere Zeiträume ähnliche Effekte möglich wären", sagt Prof. Dr. Frederik Schwerter. Ob die öffentliche Meinung das neue Wissen annehmen kann, werden die nächsten Monate und Jahre zeigen. Wir denken an Einsteins Zitat – und schauen auf das zweite wichtige Studienergebnis zum Thema Arbeit.
Mit Grundeinkommen arbeiten Menschen im Schnitt genauso viel wie zuvor.
2. Nicht weniger arbeiten – nicht mal ein paar Stunden
Wer einem Großteil der Menschen zutraut, dass sie mit einem Bedingungslosen Grundeinkommen aufhören zu arbeiten, der traut ihnen erst recht zu, dass sie zumindest ihre Arbeitsstunden drastisch reduzieren. Aber auch für diese Meinung findet das Pilotprojekt keine Belege.
Im Gegenteil, im Studienzeitraum erhöhte sich das Arbeitspensum der Teilnehmenden mit Grundeinkommen sogar teilweise. Wieder die eindeutigen Zahlen:
Vor dem Studienstart arbeiten die Teilnehmenden, die das Grundeinkommen erhalten, im Schnitt 38 Stunden pro Woche. Während der Studie wächst der Wert auf bis zu 41,2 Stunden. Zu keinem Zeitpunkt sinkt er. Ein halbes Jahr nach Studienende liegt die Arbeitszeit noch immer eine Stunde höher als vor der Studie. Wieder gibt es keine signifikanten Abweichungen der Grundeinkommensgruppe von der Kontrollgruppe ohne Grundeinkommen.
Auch diesem Ergebnis wird neben viel positivem Interesse einige Skepsis entgegengebracht. Die häufigste Kritik hier versucht die Qualität der Studie anzuzweifeln: Die Arbeitszeitdaten basierten auf Selbstauskünften der Teilnehmenden, die könnten ja auch gelogen haben, um das Grundeinkommen gut aussehen zu lassen. Ist da was dran?
Die Forschenden stellen klar: Die mehr als hundert Teilnehmenden der quantitativen Forschung waren nicht alle Grundeinkommen-Fans. Im Gegenteil: Bei der Auswahl der Stichprobe wurde Wert drauf gelegt, dass die Hälfte dem Bedingungslosen Grundeinkommen skeptisch bis ablehnend gegenübersteht.
Und die Selbstauskünfte aller Teilnehmenden lässt sich anhand von Registerdaten des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung belegen. Bei der Vorstellung der Ergebnisse sagte Frederik Schwerter dazu: Aktuell könne man "noch nicht den ganzen Studienverlauf in den Daten verfolgen – aber der Teil der Daten, den wir schon haben, bestätigt die Ergebnisse voll und ganz."
Durch das Bedingungslose Grundeinkommen kommt Bewegung ins Berufsleben.
3. Nicht weniger arbeiten – aber anders
Bei Arbeitskontinuität und Arbeitszeit zeigt das Pilotprojekt also, dass schlicht nichts passiert – was ein durch und durch gutes Ergebnis ist. Die große Sorge, ein garantiertes Grundeinkommen würde die Erwerbstätigkeit gefährden, bestätigt sich nicht. Weder zieht sich ein großer Teil der Teilnehmenden aus dem Erwerbsleben zurück, noch werden Arbeitszeiten spürbar reduziert. Bei einem anderen Aspekt hingegen passiert umso mehr – Stichwort Jobwechsel. Das sagen die Zahlen:
In fast allen der insgesamt sechs Befragungswellen wechseln viel mehr der Teilnehmenden, die das Grundeinkommen erhalten, ihren Job als die Menschen in der Kontrollgruppe ohne Grundeinkommen. Am deutlichsten ist dieser Unterschied nach etwa 1,5 Jahren Studiendauer: 14% der Grundeinkommensgruppe verändert sich beruflich – aber nur 8% der Kontrollgruppe.
Manche Teilnehmenden wechseln ihren Arbeitgeber, aber bleiben im selben Beruf. Andere orientieren sich beruflich um. Wieder andere fangen ganz neu an und beginnen ein Studium oder eine Ausbildung. Zur letzten Gruppe gehört auch Lisa aus Leipzig. Sie ist eine der Teilnehmenden, deren Arbeitsalltag am Ende der Studie ganz anders aussah als zu Beginn:
4. Nicht weniger arbeiten – aber zufriedener
Der vierte Aspekt, den das Pilotprojekt Grundeinkommen beim Thema Arbeit untersucht hat, war die Zufriedenheit der Teilnehmenden mit ihrem Job. Und die hängt zumindest teilweise mit den Ergebnissen beim Jobwechsel zusammen: "Grundeinkommen gibt uns Möglichkeiten, im Job vielleicht neue Positionen auszuprobieren. Das führt nicht dazu, dass wir weniger arbeiten – aber dass wir zufriedener sind mit unserer Arbeit", erklärt Susann Fiedler.
Und noch einmal die Zahlen: Vor Beginn der Studie liegt die Arbeitszufriedenheit der Grundeinkommensgruppe bei 7.1 von 10 möglichen Punkten. Sie ist gleichauf mit der Zufriedenheit in der Kontrollgruppe ohne Grundeinkommen. Nach einem ersten Abfall der Zufriedenheit im Job steigt sie in der zweiten Hälfte der Studiendauer deutlich an – allerdings nur bei den Teilnehmenden mit Grundeinkommen. Die Differenz hält bis zum Ende der Studie an. Erst danach, wenn es kein Grundeinkommen mehr gibt, gleichen sich beide Gruppen wieder einander an.
Auf einer Skala von 1 bis 10 geben Menschen mit Grundeinkommen an, zufriedener mit ihrer Arbeit zu sein als die Vergleichsgruppe.
Die Arbeitszufriedenheit nimmt also nur bei denen zu, die das Bedingungslose Grundeinkommen erhalten. Und zwar ab dem Zeitpunkt, zu dem viele ihren Job gewechselt haben. Diese Verbindung liegt nahe – und sie wird vom Forschungsteam durchaus bestätigt: Man sehe keinen Rückzug vom Arbeiten, sagte Susann Fiedler, die Verhaltenspsychologin, bei der Vorstellung der Ergebnisse – sondern "dass wir hier sehr viel aktiver und selbstbestimmter auf unsere Entscheidungen im Bereich Arbeit blicken und andere, positive Entscheidungen treffen können."
Die Selbstbestimmtheit, die durch eine bedingungslose Existenzsicherung zweifelsfrei gefördert wird, ermöglicht es uns, Nein zu sagen zu Jobs, die uns unzufrieden machen – und Ja zu sagen zu Berufen, in denen wir dauerhaft zufriedener sind. Hier schließt sich der Kreis der Arbeitsforschung: Wer würde bestreiten wollen, dass man eine Arbeit länger behält, mit der man sich wohler fühlt?
Und nun? Die Ergebnisse des Pilotprojekts Grundeinkommen im Bereich Arbeit liegen jetzt vor. Viele der untersuchten Aspekte lieferten ziemlich eindeutige Ergebnisse. Reicht das, um die tief sitzenden Vorurteile gegen das Bedingungslose Grundeinkommen aus der öffentlichen Meinung zu verdrängen?
Prof. Dr. Jürgen Schupp ist verhalten optimistisch: "Unsere Studie entkräftet das gängige Stereotyp, dass Menschen mit einem Bedingungslosen Grundeinkommen in eine soziale Hängematte abgleiten würden – einmal mehr. Wir hoffen, dass unsere Feldstudie zu einer Versachlichung der auch in Deutschland sehr polarisiert geführten Diskussion und zum Abbau von Klischees rund um das Bedingungslose Grundeinkommen beizutragen vermag."
Das Pilotprojekt Grundeinkommen hat jedenfalls alles getan, um einige der häufigsten Zweifel an der Aussagekraft der Forschung zu zerstreuen. Es wurde auf "dem besten Level der derzeit existierenden, methodischen Forschungspraxis ausgeführt", bekräftigt das Forschungsteam.
Unsere Studie entkräftet das gängige Stereotyp, dass Menschen mit einem Bedingungslosen Grundeinkommen in eine soziale Hängematte abgleiten würden – einmal mehr.
Prof. Dr. Jürgen Schuppvom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin)
Andere Zweifel werden schwerer zu beseitigen sein, weil sie nicht rational an der Methodik der Forschung ansetzen – sondern auf oft irrationalen Glaubenssätzen oder sogar einem lange verinnerlichten Menschenbild des Misstrauens aufbauen. Das sind die "vorgefassten Meinungen", die laut Albert Einstein "schwerer zu zertrümmern sind als ein Atom". Das Zitat ist übrigens selbst der beste Beleg für solche irrigen Meinungen: Es stammt nämlich gar nicht von Einstein, sondern vom US-amerikanischen Sozialpsychologen Ronald Lippitt – trotzdem sind sehr viele Menschen überzeugt davon genau zu wissen, von wem es stammt.
Am Ende ist es aber ganz egal, wer den Satz gesagt hat. Entscheidend ist, was ihn ihm steckt: Es mag vielleicht "schwierig" sein, Vorurteile zu überwinden – aber "unmöglich" ist es offenbar nicht. Damit können wir gut weiterarbeiten.
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