Heute beginnt das Pilotprojekt, die Studienteilnehmer*innen erhalten zum ersten Mal Grundeinkommen. Wie fühlt sich dieser Moment an?
Michael Bohmeyer: Überwältigend! Vor sieben Jahren haben wir angefangen, das Grundeinkommen praktisch erlebbar zu machen. Wir haben es den ersten Menschen einfach ausgezahlt und dabei mit einer ganz naiven Haltung gefragt: Was passiert denn wirklich? Damals war das Grundeinkommen scheinbar noch eine utopische Idee.
Heute bekommen im Rahmen des Pilotprojekts 122 Menschen mehr die Möglichkeit, diese angebliche Utopie auszuprobieren – nicht nur für ein Jahr, sondern für drei Jahre. Weltweit kommen fast im Wochentakt neue Grundeinkommens-Experimente dazu. Das Grundeinkommen ist eine reale politische Option geworden. Das macht sehr viel Hoffnung.
Was waren die größten Herausforderungen für die Forschenden auf den letzten Metern vor dem Start?
Michael Bohmeyer: Wir wurden geradezu überrannt mit Interesse am Pilotprojekt. 2,1 Millionen Menschen haben sich bis letzten November beworben, Teil unserer Studie zu sein. Die große Herausforderung ist natürlich anschließend gewesen,die Menschen herauszufiltern, die jetzt tatsächlich das Grundeinkommen kriegen.
Gleichzeitig hat die Forschung natürlich längst begonnen: Wir haben alle Menschen bereits gefragt, wie ihr Leben jetzt gerade ohne Grundeinkommen aussieht. Um das feststellen zu können, haben wir nicht nur Tiefeninterviews geführt, sondern auch Haarproben genommen, um Hinweise auf das Stresslevel der Teilnehmer*innen zu bekommen. All das dauert bei einer so großen Studie relativ lang.
Die Corona-Pandemie hat viele soziale Effekte, deren Ausmaß wir gerade noch gar nicht kennen. Ist der Zeitpunkt für das Pilotprojekt deswegen eigentlich besonders gut oder besonders schlecht?
Michael Bohmeyer: Grundsätzlich ist unsere Forschung ziemlich Corona-resistent. Das Ergebnis der Studie bemisst sich am Unterschied zwischen Grundeinkommens- und Vergleichsgruppe – und da Corona ja alle Menschen betrifft, fällt das nicht so sehr ins Gewicht. Gleichzeitig hat uns Corona natürlich gezeigt, dass unsere Gesellschaft nicht besonders krisenfest ist oder dass zumindest viele Leute zurückbleiben, wenn sich äußere Umstände dramatisch verändern.
Solche Veränderungen werden wir in den nächsten Jahrzehnten vielleicht noch öfter erleben. Deshalb ist es aus Grundeinkommens-Perspektive total interessant zu gucken, was gerade in dieser Zeit mit einer Gesellschaft passiert: Wenn einige ihrer Mitglieder deutlich resilienter sind, wenn sie keine Existenzsorgen haben, wenn sie deshalb vielleicht mutigere Entscheidungen treffen können und möglicherweise auch eine höhere psychische Gesundheit haben. Das kann ja gerade in diesen Tagen sehr hilfreich sein.
Was wollen die Forschenden eigentlich genau über das Grundeinkommen herausfinden?
Michael Bohmeyer: Das Grundeinkommen wird seit Jahrzehnten moralisch und ideologisch debattiert. Dabei haben unterschiedliche Parteien ganz unterschiedliche Vorstellungen und wir glauben, dass diese Diskussionen nicht mehr produktiv sind. Wir brauchen jetzt endlich Fakten und Daten, damit die Debatten seriös geführt werden können und nicht auf Annahmen beruhen.
Unsere Hypothese ist, dass gestresste Menschen schlechtere, weniger mutige und unsozialere Entscheidungen treffen. Und wenn man überlegt, dass die ganze Gesellschaft tendenziell unter Stress steht – zum Beispiel durch bewusste oder unbewusste Existenzängste – dann führt das dazu, dass die Gesellschaft nicht so gut agiert wie sie agieren könnte. Wir wollen in diesem Teil der Studie herausfinden, wie ein Grundeinkommen die Gesellschaft verändert. Welche Potenziale lassen wir heute ungenutzt? Weil wir eben noch kein Grundeinkommen haben, weil wir akzeptieren, dass diese reiche, satte Gesellschaft tagtäglich gestresster ist als vielleicht notwendig.
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Und hast du eine persönliche Vermutung, was am Ende als Ergebnis stehen wird? Immerhin probieren wir das Grundeinkommen ja schon seit fast sieben Jahren aus und haben einiges über seine Wirkung gelernt.
Michael Bohmeyer: Ich habe ganz viele Vermutungen und auch Hoffnungen, was bei der Studie herauskommt. Wir haben ja auch schon Indizien aus anderen Forschungsprojekten weltweit. Die haben sich allerdings immer auf einkommensschwache Menschen beschränkt, was auf den ersten Blick ja auch sinnig zu sein scheint: Menschen mit wenig Geld gibt man eben Geld.
Grundeinkommen ist aber ein fundamental neuer Ansatz, der allen Menschen einer Gesellschaft Geld gibt. Und deshalb finde ich es besonders spannend, dass wir das weltweit erste Pilotprojekt realisieren, in dem die Mittelschicht Grundeinkommen kriegt. Da habe ich ganz viele Hoffnungen, was da passiert. Aber ich glaube, jetzt ist der Zeitpunkt, diese Hoffnungen hinten anzustellen und sich demütig der Wissenschaft zu verschreiben. Denn jetzt heißt es messen, beobachten und verstehen. Denn: Gehofft und geglaubt wird schon genug.
Wie hat die Öffentlichkeit bisher auf diesen Forschungsansatz reagiert? Gab es auch Kritik, die ihr vor dem Start noch einarbeiten konntet?
Michael Bohmeyer: Es gab eine sehr fruchtbare Debatte mit der Öffentlichkeit über das Forschungsdesign und die Fragen “Kann man überhaupt so etwas wie das Grundeinkommen erforschen?” und „Was ist die Aussagekraft einer so verhältnismäßig kleinen Studie?“. Und ich finde, dass wir da überall ganz gut weggekommen sind, denn natürlich kann man unseren Ansatz kritisieren. Muss man auch. Das machen wir auch selber. Uns ist beispielsweise vollkommen klar, dass wir im ersten Schritt die Frage nach der Finanzierung eines Grundeinkommens nicht beantworten werden.
Aber wir glauben, bevor man als Gesellschaft darüber verhandelt, was man sich ein Grundeinkommen kosten lassen will, muss man wissen, wie es überhaupt wirkt. Nach dieser ersten Studie hören wir aber nicht auf, sondern werden noch zwei weitere Studien starten, in denen wir testen, was so ein Grundeinkommen eigentlich kostet und wie es realistisch finanzierbar ist.
Auch dahinter steht eine Hypothese: Wir nehmen an, dass die Wirkung des Grundeinkommens gar nicht so sehr vom Mehr an Geld abhängt, sondern vor allem vom bedingungslosen Vertrauensvorschuss. Grundeinkommen bedeutet ja nicht Geld für alle on top, sondern die Sicherheit, nie unter die Summe des Grundeinkommens zu fallen. Teil der Annahme ist daher auch, dass gar nicht so viel Geld für die Finanzierung nötig ist, sondern bereits der Vertrauensvorschuss für Planungssicherheit und damit auch eine psychologische Sicherheit sorgt, die wiederum den Stress reduziert.
Ein Geldautomat, der Grundeinkommen auszahlt? So haben wir heute Mittag auf den Start des Pilotprojekts aufmerksam gemacht. Ein Blick hinter die Kulissen unserer Aktion vor dem Reichstag in Berlin.
Wie geht's nach heute weiter? Wann können wir mit ersten Erkenntnissen aus dem Pilotprojekt rechnen?
Michael Bohmeyer: Jetzt wird es erstmal leise um das Pilotprojekt und das ist auch gut und richtig so. Denn die Teilnehmer*innen sollen ohne äußere Beeinflussung ihr Erleben bewerten können. Wir werden zur Halbzeit des Projekts im Februar 2023 mit den ersten Zwischenergebnissen an die Öffentlichkeit gehen. Und dann freuen wir uns auf eine lebhafte, hoffentlich schon etwas sachlichere Debatte, weil dann schlicht und ergreifend schon erste Daten da sind.
Alle Interessierten können aber natürlich auch weiterhin verfolgen, was mit dem Pilotprojekt passiert, denn ein Teil der Teilnehmer*innen darf mit den Medien über ihr Erleben sprechen. Das heißt: Auf unserer Projektseite und in den Medien werden wir alle Einblicke aus dem Leben von Menschen mit einem dreijährigen Grundeinkommen erhalten.
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