Sicherheit ist ein grundlegendes menschliches Bedürfnis. Aber was brauchen wir eigentlich aus psychologischer Sicht, um uns sicher zu fühlen? Und: Haben wir in Deutschland das richtige Sozialsystem dafür?
Gestern Abend gab es ein Gewitter. Es donnerte und knallte, schüttete und stürmte. Vor dem Fenster schoss Blitz um Blitz durch den pechschwarzen Himmel. Geplant war eigentlich, mich mit Freund*innen im Park zu treffen, sogar der Kartoffelsalat war fertig gewürzt und eingepackt.
"Auch ok", dachte ich mir. So stand ich eben stattdessen am Fenster und folgte dem Spektakel gebannt aus der sicheren Bastion meines Zuhauses. Statt mich ob des verpassten Treffens zu ärgern, machte ich mir eine Tasse Tee und beobachtete gespannt, wie sich der Sturm entwickeln würde. Ich wartete einfach, bis das Ganze vorbei war.
Das Leben ist ein bisschen wie das Wetter: Wir können planen, uns auf bestimmte Ereignisse vorbereiten – aber am Ende kommt es eben doch, wie es kommt. Manchmal hätten wir ein wenig Sonnenschein wirklich verdient und trotzdem will es einfach nicht aufhören zu regnen.
So lange wir uns darauf verlassen können, dass unser Dach dicht hält und wir von unserem Ehrenplatz am Fenster aus erahnen, dass sich in der Ferne die Wolken etwas lichten, ist alles halb so wild. Zum Glück haben wir ja unser Zuhause, in dem wir uns aufgehoben, wohl und sicher fühlen, auch in Schlechtwetterphasen – auch und gerade in finanziellen!
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Das Bedürfnis nach Sicherheit ist ein sehr grundlegendes. Es wirkt sich auf alle Facetten des menschlichen Daseins aus. Wenn wir uns sicher fühlen, sind wir in der Lage, unser Potenzial zu entfalten und das Leben zu genießen.
Nur, wenn wir über eine Art Grundvertrauen darauf verfügen, dass wir im Ernstfall aufgefangen werden, wagen wir Großes. So trägt eine sichere Umgebung dazu bei, dass wir Entscheidungen ohne Angst vor Schaden oder Strafe treffen. Wir trauen uns, neue und mutige Schritte zu gehen, oder uns für Beziehungen zu anderen Menschen zu öffnen.
In der Komplexität des Alltags kann es jedoch schwierig sein, Sicherheit genau zu definieren. Wir haben uns deshalb gefragt: Was brauchen wir Menschen eigentlich, um uns sicher zu fühlen? Welche Voraussetzungen sind dafür nötig? Und: Sorgt in Deutschland der Sozialstaat dafür, dass sich im Ernstfall alle aufgefangen fühlen?
Grundsicherung: Der steinige Weg zur Sicherheit?
Im Begriff der GrundSICHERung steckt unser Wort der Stunde ja buchstäblich drin – da sollte sie doch auch ein Gefühl von Sicherheit vermitteln können?
Psycholog*innen haben verschiedene Aspekte identifiziert, die zur Erfüllung unseres Bedürfnisses nach Sicherheit beitragen können. Sie stammen aus verschiedenen Bereichen der psychologischen Forschung, darunter die klinische, die kognitive und die Entwicklungspsychologie, die Sozial- und die Gesundheitspsychologie.
Gesundheitliche und Existenzsicherheit
Gemeinsam mit der gesundheitlichen fällt dabei den meisten von uns wahrscheinlich zunächst die körperliche beziehungsweise die Existenzsicherheit ein: Wie andere Lebewesen auch, brauchen wir Menschen ein sicheres Umfeld, frei von Gewalt oder anderen körperlichen Bedrohungen. Außerdem möchten wir unsere Grundbedürfnisse nach Nahrung, Wasser und Unterkunft erfüllt wissen.
Ein Blick auf das neue Bürgergeld zeigt: Das könnte knapp werden. Monatlich 502 Euro, das ist der Regelsatz für Alleinstehende und Alleinerziehende. Davon die eigenen Grundbedürfnisse (wie nachhaltige Ernährung oder Gesundheitsvorsorge) decken zu wollen, ist – vorsichtig ausgedrückt – ehrgeizig.
Verhaltensforscherin Prof. Dr. Susann Fiedler, die du vielleicht aus unserem Podcast "Steile Thesen" kennst, bringt es auf den Punkt:
Darüber hinaus benötigen wir aber auch eine gewisse (Planungs-) Sicherheit, was unsere Finanzen betrifft.
Finanzielle Sicherheit
Finanzielle Sicherheit ist zum Beispiel dann gegeben, wenn wir uns in einem gesicherten Beschäftigungsverhältnis befinden, aus dem wir ein ausreichendes Einkommen beziehen – und dann, wenn wir wissen, dass sowohl für Notfälle als auch für den Ruhestand Vorsorge getroffen ist. Langfristige Sicherheit und Planbarkeit sind mit dem Bürgergeld natürlich Fehlanzeige.
Bleiben wir bei unserem Bild vom standhaften Hausdach, das uns vor den Unwettern des Lebens schützt, ist unschwer zu erkennen: Nicht einmal das Zuhause ist – äh – sicher vor der Grundsicherung. Wer nach der neuen Schonzeit von einem Jahr in einer "unagemessen teuren" Wohnung verbleiben möchte, muss die Differenz zum Wohngeld selbst tragen. Was natürlich mit Bürgergeld in den seltensten Fällen machbar ist.
Dank komplexer Antragsverfahren, der Unsicherheit über die Leistungsberechtigung und bürokratischer Hindernisse ergibt sich zudem eher ein Gefühl der Schikane als eines der wohlwollenden Fürsorge durch die Gemeinschaft.
Emotionale und soziale Sicherheit
Da liegt es dann leider nahe, dass es unter den Aspekten der emotionalen und sozialen Sicherheit auch nicht vielversprechender aussieht. Diese beziehen sich auf unser Bedürfnis nach Zugehörigkeit auf der einen, und nach Akzeptanz und Wertschätzung durch unsere Mitmenschen auf der anderen Seite. Wenn wir aber das Gefühl haben, dafür verurteilt zu werden, die zunächst angebotene Hilfe dann auch anzunehmen, werden wir uns wohl kaum sicher und behütet fühlen.
Eine Stimme aus unserer Crowd hegt in ihrer Sprachnachricht an uns gar einen schweren Verdacht: Die Stigmatisierung von Menschen, die auf Sozialleistungen angewiesen sind, könnte von der Gesellschaft gewollt sein.
Und tatsächlich: In Deutschland verzichten viele anspruchsberechtigte Menschen auf Sozialleistungen (bei Hartz IV waren es Schätzungen zufolge zwischen 43 und 56 Prozent, bei der Grundsicherung im Alter sind es sogar etwa 60 Prozent). Ein Beweggrund ist dabei auch, ein positives Selbstbild aufrechtzuerhalten und negative Beurteilung durch andere zu verhindern.
Kognitive Sicherheit
Die sogenannte kognitive Sicherheit schließlich bezieht sich auf unsere Fähigkeit, die Welt um uns herum zu verstehen und vorherzusagen. Dafür wiederum gibt es natürlich kaum Garantie in einer Welt, die sich stetig – und mitunter rasant – verändert. Dabei funktioniert das Gefühl von Sicherheit, das sich unter den oben genannten Voraussetzungen einstellt, wie eine innere Kompassnadel: Es hilft uns, durch das Leben zu navigieren und dabei immer eine Grundstabilität zu bewahren.
Sicherheit, könnte man sagen, ist also nicht nur das Fehlen von Gefahr oder Bedrohung, sondern auch das Vorhandensein von Ressourcen und Fähigkeiten, um mit Veränderungen und Unsicherheiten (wie Klimawandel oder Krieg) umzugehen.
Diese Angst untergräbt das Vertrauen der Menschen in die Fähigkeit der Gesellschaft, sie im Ernstfall aufzufangen. "Früher hieß es: Wer strauchelt, wird aufgefangen; wer nicht mehr weiterweiß, wird beraten; wer bedroht wird, wird beschützt. Und wer durch seine Herkunft benachteiligt ist, erhält einen Ausgleich," so Bude im Interview mit der GEO. "Doch all das ist nicht mehr gewiss; diese Versprechen kann die Gesellschaft nicht mehr halten."
Unter solchen Umständen ist es schwierig, sich im Ernstfall aufgehoben zu wissen und sich auf das zu fokussieren, was gerade Priorität hat im eigenen Leben, wie zum Beispiel Familie. Die alleinerziehende Mutter eines chronisch kranken Kindes kann ein Lied davon singen. In einer Sprachnachricht an uns schildert sie, wie viel einfacher das alles mit einem Bedingungslosen Grundeinkommen wäre.
An dieser Stelle ist das Grundeinkommen viel mehr als nur eine finanzielle Unterstützung – es besitzt die Kraft, das Versprechen der Gesellschaft wiederherzustellen, uns aufzufangen, wenn wir ins Straucheln geraten.
Denn Sicherheit ist mehr als nur ein Gefühl. Sie ist Grundvoraussetzung für ein erfülltes Leben, in dem wir mutige Schritte gehen, elastisch und anpassungsfähig bleiben.
Sicherheit ist ein kuscheliger Fensterplatz, wenn sich das nächste Mal die Schleusen des Himmels öffnen.
Übrigens: In der aktuellen Folge unseres Video-Podcasts "Steile Thesen" erzählen Betroffene, wie sie mit dem Bürgergeld zurechtkommen. Jetzt ansehen oder anhören!
Was denkst du? Mutig sein, dich frei entfalten: Was brauchst Du dafür? Und was müssten wir in Deutschland besser machen, damit das klappt? Schreib es uns in die Kommentare!
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