Unser Gewinner Henning* ist Wirtschaftsingenieur und berät u.a. die Automobilindustrie zu urbaner Mobilität. Die Digitalisierung ist für ihn ganz selbstverständlich. Seit vergangenem Dezember bekommt er Grundeinkommen und arbeitet trotzdem noch 60 Stunden in der Woche. Im Interview berichtet er, was ihn antreibt und wie er seine Position zwischen digitalem und sozialem Wandel erlebt.
Du arbeitest am Puls der Digitalisierung und hast ein Bedingungsloses Grundeinkommen. Sind das zwei Revolutionen, die du gerade erlebst?
Ja, absolut. Die Digitalisierung ist ein Wandel wie damals die industrielle Revolution. Ich glaube, vielen ist noch nicht klar, was dahintersteckt. Was das Bedingungslose Grundeinkommen angeht, sehe ich das genauso. Es ist absolut wichtig und sinnvoll, dass in diese Richtung gedacht wird. Ihr, als Initiative, seid ja öffentlich schon sehr aktiv. Ich sehe aber, dass das Grundeinkommen nicht den gleichen revolutionären Hebel hat, wie die Digitalisierung. Es ist auf jeden Fall eine soziale Revolution, aber eine, die es viel schwieriger haben wird, sich durchzusetzen. In meiner Erfahrung ist das Thema der Digitalisierung zugänglicher, weil es sich plastischer darstellen lässt.
Wie fühlt sich das an, Teil von diesen beiden Zukunftswelten zu sein?
Ich könnte schon sagen, ich stehe zwischen den Stühlen. Auf der Seite der Digitalisierung kriege ich mit, welche coolen Möglichkeiten sich ergeben. Nicht nur im technischen Bereich, sondern zum Beispiel auch in der digitalen sozialen Vernetzung. Ich sehe aber auch Gefahren, wie Cybermobbing oder Cyberkriminalität. Natürlich ist es trotzdem wert, den Weg zu gehen, weil einfach ein enormes Potential dahintersteckt. Beim Grundeinkommen ist es auch so. Ich bin total begeistert von der Idee und bin sehr dankbar, dass ich das erleben darf. Aber ich sehe auch die Gefahr, dass so ein Vorhaben wieder in Vergessenheit oder sogar in Verruf geraten kann. Und dass es nicht geschafft wird, das Konzept in die Gesellschaft zu drücken.
Wie hat sich der Gewinn deines Grundeinkommens auf Gespräche mit Freunden, Familie und Arbeitskolleg*innen ausgewirkt?
Für mich war sofort klar, dass ich meinen Eltern einen Teil meines Grundeinkommens zur Verfügung stelle. Monatlich sind es 20 Prozent des Betrages, damit sie eine kleine Unterstützung im Alter haben. Das ist gut angekommen und hat Diskussionen angeregt, obwohl meine Eltern manchmal noch skeptisch sind. Bei der Arbeit war es schwerer. Die Automobilbranche ist, was soziale Revolution angeht, relativ stark eingefahren. Es gibt Kollegen, mit denen es sich nicht lohnen würde, darüber zu sprechen. Es gibt aber auch andere, bei denen das Grundeinkommen schon auf Interesse stößt. Es ist bei uns auch schon in Diskussionen ausgeartet.
Und wie sprecht ihr auf der Arbeit über die digitale Zukunft?
Wir reden nonstop darüber. Es gibt viele Streitgespräche, weil Digitalisierung ein absolutes Buzzword ist. Man muss aufpassen, dass es nicht inhaltsleer wird, weil es für so viel steht. In unserem Projekt bedeutet Digitalisierung konkret die Arbeit an einer ganzheitlichen Regelung des Stadtverkehrs. Wir möchten Mobilität gewährleisten, die sauber und kostengünstig ist und individuelle Wünsche erfüllt. Ganz groß sind da autonomes Fahren genauso wie bereits vorhandene Ridesharing Konzepte und die Sharing Economy als Ganzes. Wir koordinieren dabei nicht nur mit den öffentlichen Verkehrsanbietern, sondern auch mit Autoherstellern, mit Vertretern der Stadtplanung, der Immobilienwirtschaft und der Politik.
Wie sieht deiner Meinung nach die Arbeitswelt von morgen aus?
Langfristig wäre wohl das Ziel, den Traum der Menschheit zu realisieren und sich von Arbeiten abzuwenden, die einen nicht mehr zufrieden stellen. Mittelfristig ist die Digitalisierung eine absolute Befähigung auf dem Weg dorthin. In Zukunft wird wahrscheinlich Flexibilität ganz großgeschrieben. Sowohl örtliche als auch zeitliche. Ein anderer wichtiger Faktor ist, welche Arbeit durch die Digitalisierung überhaupt noch nötig sein wird. Es werden sicherlich Arbeiten wegfallen und da muss man sich die Frage stellen: Wie muss Bildungsarbeit betrieben werden, damit alle Menschen die Chance haben, in dieser neuen Arbeitswelt sinnvolle Tätigkeiten ausüben zu können? Meines Erachtens wird das Bedingungslose Grundeinkommen ein wichtiger Meilenstein für notwendige Bildungspolitik auf dem Weg zu einer komplett digitalisierten Wirtschaft.
Wie würde sich die Arbeit konkret bei dir und deinen Kolleg*innen verändern, wenn ihr alle Grundeinkommen hättet?
Nicht viel. Weil wir schon ein bisschen verrückt sind. Die Arbeit in unseren Projekten ist extrem fordernd. Das macht man nicht nur des Geldes wegen. Also manche schon, ich kann ja nicht für alle sprechen. Aber man ist sich bewusst, dass man Montag bis Freitag nonstop in den Projekten eingebuddelt ist. Dazu wird man ja nicht gezwungen, also würde das Grundeinkommen in dem Fall nicht viel ändern. Aber es ist eine schöne Sicherheit, in meinem Fall insbesondere für die Zukunftsplanung. Das ist meine Sichtweise, in anderen Berufen würde man sicherlich eine andere Antwort bekommen.
Was denkst du, wieviel Zeit haben wir und die Crowd noch, um das Bedingungslose Grundeinkommen einzuführen?
Das kann ich kaum beantworten. Ihr kämpft nicht gegen eine Deadline an, die Zeit läuft nicht davon. Im Gegenteil. Im Zeichen der Digitalisierung und dem Wandel, der dahintersteht, würde ich sagen, dass ihr im Moment eher gegen eingefahrene Strukturen kämpft. Ich glaube, es bedarf einfach Zeit und Aufklärung, um das zu realisieren. Aber ich würde mir keine Sorgen machen, dass ihr den Moment irgendwann verpasst habt, das Bedingungslose Grundeinkommen einzuführen.
*Henning ist nicht sein richtiger Name; unser Gewinner möchte gern anonym bleiben.