Der letzte Stand zur Finanzierung eines Bedingungslosen Grundeinkommens schien eindeutig: Nicht finanzierbar lautete das Urteil der von der Regierung beauftragten Studie, die durch die Medien ging. Warum also kommt das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in seiner Mikrosimulationsstudie zu einem gänzlich anderen Ergebnis? Michael Bohmeyer geht der Sache auf den Grund und legt vier Kernunterschiede beider Studien offen.
Ist das Grundeinkommen finanzierbar? Um diese Frage ranken sich in den Debatten viele Mythen. Doch wenn man nach genauen Zahlen sucht, muss man feststellen, dass zu dieser Frage zwar viel behauptet, aber wenig berechnet wurde.
Erst im November 2021 wurde erstmals eine Mikrosimulation für Deutschland erstellt, die das Grundeinkommen und die steuerlichen Veränderungen durchrechnete.
Bei einer solchen Mikrosimulation werden repräsentative Bevölkerungsdaten (meist die 25.000 Datensätze des sogenannten Sozio-ökonomischen Panels) genutzt und auf die Gesamtbevölkerung hochgerechnet, um die Auswirkungen von finanzpolitischen Reformen bewerten zu können.
Auch komplizierte Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Veränderungen können auf diese Weise berechnet werden.
Unser Pilotprojekt sorgte für die erste Rechnung
Diese erste Mikrosimulation stammt vom wissenschaftlichen Beirat des Finanzministeriums. Anlass für dessen Arbeit war der Start der dreijährigen Pilotstudie von Mein Grundeinkommen, bei der das Bedingungslose Grundeinkommen erstmals in Deutschland empirisch wissenschaftlich untersucht wird.
Die Autor*innen der Mikrosimulationsstudie kamen dabei laut ihrer Internetseite zum ernüchternd eindeutigen Fazit: „Nicht finanzierbar“.
Für uns als Verein war das ein Schock. Was bringt die Beschäftigung mit dem Grundeinkommen, wenn es am Ende nicht finanzierbar ist? Wir hatten uns bis dahin auf die groben Berechnungen verschiedener Autor*innen und internationale Veröffentlichungen verlassen, die jeweils behaupteten, dass das Grundeinkommen finanzierbar wäre.
Nach einem längeren Termin mit den Autoren der deutschen Mikrosimulation war für uns klar: Es braucht noch viel mehr Forschung zur Finanzierbarkeit des Bedingungslosen Grundeinkommens und auch wir selbst müssen das Thema vollständig durchdringen.
Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung nahm sich dieser Aufgabe an. Unter Leitung ihres Steuerexperten Stefan Bach, starteten sie vor anderthalb Jahren eine eigene Mikrosimulationsstudie, die jetzt zu einem gänzlich anderen Ergebnis kommt: Ein Grundeinkommen von 1.200 € pro Person ist grundsätzlich finanzierbar.
Zwei Studien, zwei Schlussfolgerungen
Wer hat nun also recht? Der wissenschaftliche Beirat des Finanzministeriums oder das DIW? Bei einem Treffen beider Forschungseinrichtungen wurde – wie so oft in der Wissenschaft – festgestellt, dass beide Seiten „recht“ haben, aber von unterschiedlichen Annahmen ausgehen. Diese wollen wir hier transparent machen.
Gemeinsamkeiten
In beiden Studien liegt die Grundeinkommenshöhe bei 1.200 Euro pro Monat für alle Erwachsenen und 600 Euro für alle Minderjährigen. Die Summe der ersetzbaren Sozialleistungen beruht auf ähnlichen Grundlagen und ist ungefähr gleich groß. Auch gehen beide Studien davon aus, dass es sinnvoll ist, ein Grundeinkommen über eine Einkommensteuer mit einem einheitlichen Steuersatz für alle zu refinanzieren.
Unterschiede
1. Sozialversicherung
Wenn man ein Grundeinkommen einführt, wäre es sehr sinnvoll, auch gleich die Sozialversicherung zu reformieren. Der wissenschaftliche Beirat ist hier allerdings aus unserer Sicht übers Ziel hinausgeschossen, indem er die gesamte Sozialversicherung auf die Einkommensteuer der Arbeitnehmer*innen abgewälzt hat. Das führt zu extrem höheren Steuersätzen.
Das DIW geht einen anderen Weg und lässt das Sozialversicherungssystem unberührt. Das macht es möglich, das Grundeinkommen und seine Finanzierbarkeit unabhängig von einer gigantischen Reform der Sozialversicherung zu betrachten.
2. Steuerprivilegien & weitere Einsparungen
Natürlich wäre die Einführung des Grundeinkommens selbst eine riesige Reform. Außer einem monatlichen Auszahlmechanismus an alle Bürger*innen, müsste zwar nichts Neues erfunden werden, aber die Dimension des Steuerausgleichs wäre ohne Vorbild. Wenn man das Steuersystem schon dermaßen grundlegend verändert, ist es sinnvoll, einen Schritt zurückzutreten und zu prüfen, was alles durch ein Grundeinkommen nicht mehr zwingend notwendig wäre und deshalb abgeschafft werden könnte. Dieser Aspekt fehlt in der Studie des Beirats.
Im Modellkonfigurator, der auf den Berechnungen des DIW basiert, kann man deshalb – je nach politischer Vorliebe – diverse Steuerprivilegien ab- und anschalten, die sich einzelne Gruppen über Jahrzehnte erkämpft haben. Zum Beispiel gibt es diverse legale Steuertricks für Immobilienunternehmen, Ausnahmen für vererbte Unternehmen, klimaschädliche Subventionen, zahlreiche Abschreibungsmöglichkeiten für Pendler*innen und Kapitalerträge werden heute nicht etwa genauso hoch wie Arbeit besteuert, sondern nur mit pauschal 25%.
Die meisten dieser Privilegien treffen sehr wohlhabende Menschen. Einige, wie z.B. die Pendler*innenpauschale, treffen auch die breite Masse. Zwar können hier Einzelnen mehrere hundert Euro bei der Steuererklärung verloren gehen, aber dafür bekommen ja auch alle 14.400 Euro Grundeinkommen im Jahr.
Die Grundannahme der Beiratsstudie ist: Alle Steuerprivilegien bleiben erhalten. Die Grundannahme des DIW ist: Das Grundeinkommen macht das Land insgesamt so viel gerechter, dass wir als Gesellschaft die Streichung kleiner Vorteile, die sich heute nur Menschen mit findigen Steuerberatungen leisten können, akzeptieren können.
3. Steuermix
Während die Modellrechnung des Beirats nur auf die Erhöhung der Einkommensteuer setzt, kann man im Modellkonfigurator einen Mix aus sieben verschiedenen Steuerarten frei miteinander kombinieren. Warum? Eine reine Finanzierung über die Einkommensteuer führt zu einem hohen Steuersatz auf Erwerbsarbeit, was sich schnell ungerecht anfühlen kann. Außerdem lässt das die Vermögen, die noch viel ungleicher verteilt sind als die Einkommen, vollkommen aus dem Blick.
Für welchen Steuermix man sich am Ende entscheidet, ist eine hoch politische und deshalb hoch umstrittene Frage. Deshalb ist es wichtig zu betonen, dass viele Wege zum Grundeinkommen führen.
Der Beirat kommt durch seine Annahmen auf einen notwendigen Steuersatz bei der Einkommensteuer von 88%. Mit Hilfe des Modellkonfigurators finden sich hingegen zahlreiche Wege, mit einem Spitzensteuersatz von nur 50% und sogar Wege ganz ohne Veränderung der Einkommensteuer.
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4. Erwerbsangebot
Ob und wie sich das Arbeitseinkommen mit einem Grundeinkommen verändert, ist für seine Finanzierbarkeit entscheidend. Sollten tatsächlich, wie der Wissenschaftliche Beirat behauptet, bis zu 30% der Personen weniger erwerbstätig sein, würden weniger Steuereinnahmen folgen, müsste der Steuersatz weiter steigen, würden noch mehr Leute zu Hause bleiben…. ein Teufelskreis, der die Finanzierung unmöglich macht.
Aus unserer Sicht ist es problematisch, Mutmaßungen über die Veränderung der Erwerbsarbeit in so einer Mikrosimulation anzustellen, da sie auf reiner Theorie beruhen. Das DIW hat sich in seiner Studie auf die finanzielle Machbarkeit konzentriert und Spekulationen über Verhaltensanpassungen der Menschen bewusst ausgelassen. Wir halten diese Entscheidung für richtig, da man solche Spekulationen nicht vornehmen kann, ohne sein eigenes Menschenbild zu überschätzen. Deshalb kann so eine wichtige Frage („Werden die Menschen faul oder arbeiten sie gar mehr?“) nicht theoretisch, sondern nur in praktischen Pilotexperimenten beantwortet werden.
Alle laufenden Pilotprojekte zum Grundeinkommen testen allerdings nur die Auszahlung von zusätzlichem Geld und nicht dessen Refinanzierung über höhere Steuern. Einzig die Feldexperimente in den USA und Kanada aus den 70er Jahren geben vorsichtige Hinweise auf die Wirkung eines Modells mit einer Einkommensteuer: Dort wurde so gut wie gar nicht weniger gearbeitet. Auch, dass höhere Steuern zu weniger Arbeitsmotivation führen, wird zwar oft behauptet, lässt sich aber empirisch kaum belegen.
Fassen wir zusammen: Ob das Grundeinkommen finanzierbar ist, hängt von den Annahmen ab, die man zur Berechnung trifft. Die Modellrechnung des wissenschaftlichen Beirats des Finanzministeriums geht davon aus, dass zwar alle ein Grundeinkommen erhalten, aber ansonsten so ziemlich alles bleibt, wie es ist. Dadurch wird die Finanzierung fast unmöglich.
Die Modellrechnung des DIW stellt hingegen das gesamte Steuer- und Sozialsystem auf den Prüfstand und fragt: Was wird durch ein Grundeinkommen unnötig? Mit diesem Blick auf’s große Ganze ist das Grundeinkommen durchaus realistisch finanzierbar – und zwar auf vielen Wegen.
Wir haben in unserem Modellkonfigurator versucht, mit den bestmöglichen Daten eine möglichst große Anzahl von Annahmen zur Auswahl zu stellen, die jeder Mensch frei miteinander kombinieren kann. So erhoffen wir uns, dass die Debatte um die Finanzierungsfrage sachlicher geführt werden kann – und alle daran teilnehmen können.
Neugierig geworden, selbst einmal zu berechnen, wie sich ein Bedingungsloses Grundeinkommen finanzieren lässt? Unser Modellkonfigurator macht es möglich. Weitere Magazinbeiträge zur “Finanzierbarkeit des Grundeinkommens” finden sich auf der entsprechenden Themenseite. Außerdem freuen wir uns über Rückmeldungen in den Kommentaren.
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