Wir sind nicht die Ersten, die das Grundeinkommen wissenschaftlich erforschen. Andere Länder haben es teils schon vor Jahrzehnten in eigenen Pilotprojekten untersucht. Manche der spannenden Erkenntnisse sind einfach nur in Vergessenheit geraten. Zu Unrecht.
Geld macht gesund – wie eine kanadische Forscherin nach Jahrzehnten den Beweis für eine steile These findet
Was passiert, wenn alle erwachsenen Bürger*innen, die zu wenig oder gar nichts verdienen, ein jährliches Minimaleinkommen bekommen? Kanada hat von 1974 bis 1979 in Dauphin und Winnipeg in der Provinz Manitoba ein solches Experiment durchgeführt.
Insgesamt 1.000 Familien, deren Einkünfte unter der Armutsgrenze lagen, beanspruchten die Unterstützung und holten ihre monatlichen Schecks, ohne Rechenschaft ablegen zu müssen, wofür sie das Geld ausgaben. Das Projekt „Mincome“ hatte ein Budget von 17 Millionen kanadischen Dollar, und Wissenschafter*Innen führten akribisch Buch
über den Verlauf.
Die Daten wurden erst Dekaden später von einer Professorin der Medizinischen Fakultät der Universität von Manitoba ausgewertet: Evelyn Forgets Fachgebiet sind die Kosten im Gesundheitswesen. 2011 veröffentlichte sie ihre Studie „The Town With No Poverty“ (englisch).
Was sie herausfand, war bahnbrechend: Zur Zeit von „Mincome“ gingen die Krankenhausaufenthalte in Dauphin um 8,5 Prozent zurück. Es gab weniger Einlieferungen wegen psychischer Störungen, familiärer Gewalt, Auto- und Arbeitsunfällen.
Die Forscherin Forget vermutet, dass sich Menschen mit Minimaleinkommen weniger dazu genötigt fühlen, bei Müdigkeit oder Unwohlsein eine gefährliche Arbeit zu machen, weil sie auf das Geld angewiesen sind. Geringerer Stress und weniger Druck führten also nachweislich zu einem erhöhten Wohlbefinden.
Und noch etwas schlussfolgerte Forget: Wird die Armut gelindert, sinken die Kosten im Gesundheitswesen so deutlich, dass ein garantiertes Mindesteinkommen zum Sparprogramm wird.
Kann das Grundeinkommen sogar die Entwicklungshilfe im Osten Afrikas revolutionieren?
Wissen Menschen selbst am besten, was sie brauchen? Das wollten Studierende von der US-amerikanischen Universität Harvard und dem "Massachussets Institute of Technology (MIT)" wissen, als sie sich mit den effizientesten Varianten von Entwicklungshilfe befasst haben.
Mit ihrer Organisation "Give Directly" starteten sie 2016 in den ärmsten Dörfern der Welt einen groß angelegten Feldversuch (englisch): Spendengelder sollen direkt an Individuen gehen – ohne zwischengeschaltete Entwicklungshilfeorganisationen oder staatliche Institutionen.
Dahinter steckt die Just-do-it-Haltung des Silicon Valley – und dessen Geld: Im Vorstand von "Give Directly" sitzen Facebook-Mitbegründer Chris Hughes und Jaqueline Fuller, die Googles philantropischen Arm "Google.org" leitet.
Ein Teil der Dörfer erhält monatlich 20 Euro langfristig über zwölf, ein anderer Teil über zwei Jahre. In einer dritten Gruppe von Dörfern erhalten die Menschen die Summe aus zwei Jahren Grundeinkommen auf einen Schlag. Hier erklärt die Projektleiterin Caroline Teti sehr anschaulich, wie das Projekt genau abläuft.
Das Geld bekommen sie direkt aufs Handy – ob sie sich davon ihr Dach reparieren oder einen Fernseher kaufen, ist ihnen freigestellt. „Bargeld erlaubt den Individuen, sich das anzuschaffen, was sie wirklich brauchen“, erklärt "Give Directly". Und das seien Medizin, Kühe, Ziegen, Schulgebühren, Solarpanels, Mopeds.
Während "Give Directly" in seinen Studien zeigt, wie die Direktspenden zu höheren Einkommen und Vermögenswerten führen, halten Kritiker*innen die Effekte für zu kurzfristig. Investitionen in Trinkwasseraufbereitung oder nicht landwirtschaftliche Unternehmen fänden hingegen nicht statt.
Das Grundeinkommen braucht Forschung! In Deutschland starten wir von Mein Grundeinkommen jetzt das erste Pilotprojekt. Mehr als 149.000 Menschen haben mit ihrer Spende schon 122 Studienplätze ermöglicht. Du kannst helfen, damit es noch mehr werden.
Die Finnen finden heraus: Wer Vertrauen geschenkt bekommt, schenkt selbst auch Vertrauen
In Finnland wurden ab 2016 zwei Jahre lang 2.000 zufällig ausgewählten Langzeitarbeitlosen 560 Euro monatlich ausgezahlt. Die Proband*innen im Alter zwischen 25 und 58 Jahren mussten das Geld nicht versteuern und durften unabhängig von diesem Grundeinkommen in Teilzeitjobs zusätzlich Geld verdienen.
Eine erste Studie fand heraus, dass die Teilnehmer*innen ein stärkeres Vertrauen in sich, ihre Zukunft und sogar in staatliche Institutionen entwickelten als die Vergleichsgruppe. Die Studienleiter*innen erklärten, dass Vertrauen offenbar ein wechselseitiger Effekt ist: Wird den Menschen vertraut, vertrauen auch sie selbst. „Vertrauen ist Kapital, das übertragen werden kann.“
Die spannenden Ergebnisse des finnischen Pilotprojekts wurden politisch und medial oft verkürzt, verzerrt und kleingeredet. Hier fassen wir sie ausführlich zusammen. Im Interview erklärt uns Projektleiter Olli Kangas, warum er sich mehr praktische Forschung zum Grundeinkommen wünscht.
@Eltron, zur Frage, wie gereicht ein BGE ist, wenn auch ein Millionär es erhält:
die Stigmatisierungen, die mit Bedürftigkeitsprüfungen einhergehen, können nur überwunden werden, wenn die Auszahlung eines Grundeinkommens nicht an bestimmte Bedingungen geknüpft wird. Jede*r sollte einen Anspruch darauf haben. Dadurch ließe sich gleichzeitig auch der Verwaltungsapparat verschlanken.
Ein BGE nach unserer Vorstellung sollte den Sozialstaat aber nicht vollkommen ersetzen: https://www.mein-grundeinkommen.de/erkenntnisse/was-ist-es?active=sozialstaat
Auch die Höhe eines BGEs wäre davon abhängig, was dadurch alles gedeckt werden müsste und was nicht, in jedem Falle müssten es aber unter den gegenwärtigen Bedingungen mehr als 1.000 Euro pro Monat sein, um ein Leben in Würde mit gesellschaftlicher Teilhabe zu ermöglichen. Für Kinder ist ein gestaffelter Betrag denkbar, der mit zunehmendem Alter steigt. Als Verein haben wir uns hierbei bisher nicht auf ein bestimmtes Modell festgelegt.
In jedem Falle bräuchte es für die Finanzierung eine grundlegende Steuerreform.
Abhängig vom Finanzierungsmodell würde eine Millionärin das erhaltene BGE in voller Höhe zurückzahlen. Das Stichwort ist hier negative Einkommensteuer. Dazu gibt es einen recht umfangreichen Wikipedia-Artikel: https://de.wikipedia.org/wiki/Negative_Einkommensteuer.
In diesem Modell hat jede*r denselben Freibetrag. Liegt das Einkommen darunter, erhält man zum gewissen Teil Geld vom Staat. Hat man gar keinen Verdienst, bekommt man das garantierte Grundeinkommen. Liegt das Einkommen darüber, zahlt man - je nach Höhe des Einkommens - die Transferleistung in Teilen oder in voller Höhe über die Einkommensteuer zurück. Der Millionär würde in diesem Modell das BGE also nicht nur vollständig zurückzahlen, sondern es auch stärker mitfinanzieren als andere.
Ein solches Modell simulieren wir in Studie 3 unseres Pilotprojekts Grundeinkommen: https://www.pilotprojekt-grundeinkommen.de/projektaufbau