"Wenn es so weiter geht, bricht die Pflege irgendwann einfach zusammen", warnt Ricardo Lange. Seine Art, die Dinge so klar beim Namen zu nennen, hat den Krankenpfleger bekannt gemacht. Aber Ricardo will keine Bekanntheit – er will, dass sein Beruf wieder eine Zukunft hat. Beim "Kongress der Gesellschaft" diskutiert er mit uns über soziale Gerechtigkeit. Wer ist dieser Mann? Wir haben Ricardo Lange besucht.
Das erste, was einem auffällt, wenn man sich mit Ricardo Lange unterhält, ist seine schonungslose Offenheit. Das Diktiergerät auf dem Tisch kümmert ihn nicht. Er sagt einfach geradeheraus, was gesagt werden muss.
Vermutlich ist es diese Offenheit, die Ricardo Lange vor drei Jahren buchstäblich über Nacht zur Stimme eines ganzen Berufsstandes gemacht hat: der Kranken- und Altenpflege. "Jetzt muss ich mich mal auskotzen", begann er damals einen Facebook-Post, der sein Leben veränderte.
"Es reicht!"
Er schrieb sich die Wut von der Seele. Über ein kaputt gespartes Gesundheitssystem, das am Beginn der Corona-Pandemie unter dem Personalmangel zu kollabieren drohte. "Es reicht! Ihr wollt Fachkräfte? Dann bezahlt sie auch wie solche! Nicht morgen, nicht irgendwann. Jetzt!"
Der Facebook-Post bekam fast 25.000 Kommentare und viel Aufmerksamkeit aus Medien und Politik, die bis heute anhält. Viel Zustimmung, aber auch immer wieder Hass. Nur verändert hat sich seither nicht viel. Warum macht Ricardo Lange trotzdem unbeirrt weiter? Was würde er selbst ändern, wenn er könnte? Und würde er nochmal den Weg in die Öffentlichkeit wählen?
Ich bin mit dem Intensivpfleger verabredet auf einen Kaffee und einen Spaziergang an seinem Wohnort, um seine Antworten zu hören. Um seinen Blick auf die Ungerechtigkeit in der Pflege zu verstehen, die uns alle angeht. Oder besser: Angehen müsste.
Einen Landgasthof hat mir Ricardo als Treffpunkt vorgeschlagen. Nicht mehr in Berlin, aber auch noch nicht so richtig in Brandenburg. Wo genau, möchte er lieber nicht im Magazin lesen – nicht alle Menschen können offenbar gut mit seinen kritischen Wortmeldungen umgehen. "Ich hatte schon Leute an meinem Briefkasten stehen", sagt er.
Die Sonne knallt an diesem Nachmittag Mitte September. Also setzen wir uns draußen mit Kaffee und heißer Schokolade auf die Terrasse. Ricardo erzählt, warum er Krankenpfleger geworden ist. Es ist ein Werdegang voller Umwege, die seinen Blick auf Arbeit und Gerechtigkeit bis heute prägen. "Ich habe auf dem Bau als Gas-Wasser-Installateur angefangen, aber relativ schnell gemerkt: Das ist nicht so meins", beginnt er.
Ricardo macht stattdessen Wehrdienst und bewirbt sich von dort aus bei der Polizei. Der Einstellungstest und die zweijährige Ausbildung laufen eigentlich sehr gut – bis zu einem letzten Gesundheits-Check: "Dabei habe ich den Hörtest nicht bestanden. Ich wurde sofort für den Polizeidienst untauglich geschrieben und entlassen. Und dann stand ich vor den Trümmern meines Lebens."
"So stand ich da, völlig hilflos"
Weil man als Polizeianwärter nicht in die Sozialversicherung einzahlt, ist das mit den Trümmern nicht übertrieben: "Du kommst da raus und hast nichts mehr. Du bist nicht krankenversichert, du bekommst kein Arbeitslosengeld, nichts. So stand ich da, völlig hilflos. Und musste erstmal wieder auf die Beine kommen."
Ricardo sattelt um, wird Fitnesstrainer, weil das "einfach mein Hobby und der schnellstmögliche Jobeinstieg war, den man so machen konnte." Diese Phase sieht man dem 42-Jährigen noch an. Ricardo ist ein Typ, den so schnell nichts umhaut.
"Irgendwann bin ich mal im Krankenhaus gelandet, musste operiert werden und hab mir gesagt: Warum wirst du eigentlich nicht Krankenpfleger?" An diesem Tag findet Ricardo nicht nur seinen heutigen Beruf – sondern seine Berufung. Als ich nachfrage, ob er in einem anderen Leben sofort Krankenpfleger werden würde, ohne die Umwege, schießt es ohne Zögern aus ihm heraus: "Ja!"
Wie überlastet und unterfinanziert die Pflege schon damals ist, weiß Ricardo Lange anfangs nicht: "Vor dreizehn Jahren war das noch kein öffentliches Thema. Das kam erst mit der Pandemie." Aber er erlebt vom ersten Arbeitstag an, wie sich die Situation langsam zuspitzt. Er beschreibt es so: "Es hat sich angefühlt, als wenn du eine Schubkarre voller Steine schiebst. Und jeden Tag kommt einer und schmeißt noch einen Stein rein. Mal hier einen Dienst mehr, da ein Patient mehr. Den einen Stein merkst du nicht – aber irgendwann ist die Schubkarre so voll, dass es einfach nicht mehr geht."
Was erst ein Ausnahmezustand ist, wird schleichend zum Alltag. So steht es auch im Untertitel seines Buchs "Intensiv", in dem Ricardo seine Erlebnisse mit der Schubkarre voller Steine beschreibt.
Der Pflegenotstand ist längst chronisch, als er mit der Corona-Pandemie auch noch akut wird. Täglich spricht das ganze Land über den drohenden Kollaps des Gesundheitswesens, über die Überlastung der Pflegekräfte in Krankenhäusern und Heimen. Für Ricardo ist das der richtige Moment, das Schweigen zu brechen: "Damals hat es mich aufgeregt, dass die Leute abends auf den Balkonen nur für uns klatschten – aber woher sollte denn mehr Bewusstsein kommen, wenn niemand drüber redet?"
"Da hat der Spahn sogar persönlich angerufen"
Ricardos erstem wütenden Facebook-Post folgen weitere. "Ich habe sozusagen öfter mal den Kopf aus dem Fenster gestreckt und immer irgendwie geschafft, dass man zwar aneckt, aber nicht gleich das ganze Haus einreißt." Seine Notrufe werden gehört: Aus der Politik melden sich zuerst Sahra Wagenknecht, dann auch Michael Müller, Katrin Göring-Eckardt und etliche andere. Der Tagesspiegel und später die Berliner Zeitung drucken regelmäßige Kolumnen von ihm.
Ricardo nutzt die mediale Bühne, um bis zu denen vorzudringen, die wirklich etwas ändern könnten. "Irgendwann dachte ich: Mensch, eigentlich muss doch Jens Spahn mal bei uns Probearbeiten. Der hat sich aber nie provozieren lassen." Der damalige Bundesgesundheitsminister reagiert erst, nachdem ihm Ricardo in seiner Zeitungskolumne öffentlich vorhält, sich nur mit Prominenten auseinanderzusetzen. Drei Tage später kommt die Einladung, live in der Bundespressekonferenz über den Pflegenotstand zu sprechen. "Da hat der Spahn sogar persönlich angerufen."
Vorläufiger Höhepunkt ist ein Treffen mit Olaf Scholz, damals noch Kanzlerkandidat, im Juli 2021. Ricardo sagt, der spätere Kanzler habe ihm das Versprechen gegeben, sich für eine bessere Bezahlung und mehr Entlastung der Pflegekräfte einzusetzen. Besiegelt mit einem fist bump.
Bis dahin hofft Ricardo Lange, dass das alles etwas bewirken wird. Dass die Politik ihre Versprechen von alleine halten wird. Oder wenigstens, dass die Aufmerksamkeit der Medien sie dazu zwingt. "Ich war so naiv zu glauben: Wenn nicht jetzt, wann dann? Einen größeren politischen Druck als in der Pandemie hätte es doch gar nicht geben können. Und heute? Alles vergessen und vorbei."
Wie kann das sein? Ricardo sieht die Ursachen bei allen Beteiligten: der Politik und den Arbeitgeber*innen in der Pflege. Aber auch bei uns allen, die wir vielleicht mal krank oder pflegebedürftig werden. Und sogar bei den Pflegekräften selbst. Das überrascht mich, aber Ricardo erklärt mir, warum sie alle aus verschiedenen Motiven dasselbe tun: Nichts.
Für die Arbeitgeber*innen sei es schlicht eine Haftungsfrage, nicht zu laut über Missstände in den eigenen Häusern zu sprechen: "Die wollen natürlich nicht, dass öffentlich diskutiert wird, wenn hier Menschen vernachlässigt werden, stundenlang in ihren Ausscheidungen liegen oder sogar zu Tode kommen, nur weil kein Personal da ist. Das fällt immer negativ auf die Klinik zurück."
Für uns alle seien Krankheit, Alter und Tod generell oft ein gesellschaftliches Tabuthema. Und für Kranke und Pflegebedürftige komme auch noch Scham dazu: "Wer sagt freiwillig, dass er stundenlang in seinen eigenen Ausscheidungen liegen muss?! Sie sind heilfroh, wenn sie da unbeschadet rausgekommen sind. Und die, die zu Schaden kommen oder sogar sterben, die haben keine Stimmen."
"Was soll mir passieren? Zur Not kündige ich"
Für die Pflegekräfte selbst sei es in der Theorie zwar längst möglich, konkrete Maßnahmen gegen die Missstände einzufordern: "Was soll mir passieren? Zur Not kündige ich und gehe woanders hin." In der Praxis machten das aber viel zu wenige seiner Kolleginnen und Kollegen. "Da muss ich leider auch meine eigene Berufsgruppe mit ins Boot holen. Wir müssten einfach mal sagen 'Jetzt ist Schluss!' anstatt immer wieder zur Arbeit zu kommen, unsere Gesundheit in die Tonne zu kloppen – nur weil wir es nicht schaffen, ein funktionierendes Gesundheitssystem auf die Beine zu stellen."
Wer in der Pflege arbeitet, will für Menschen da sein. Das ist vermutlich eine Art Berufskrankheit, die es den 1,5 Millionen Pflegekräften in Krankenhäusern und Heimen schwer macht, geschlossen in den Streik zu treten, sagt Ricardo: "Wenn ich nicht am Fließband erscheine, wird eben ein Auto nicht gebaut. Wenn ich aber nicht zu meiner Schicht erscheine und ein Patient kommt zu Schaden, ist natürlich das Schuldbewusstsein größer."
Als Pfleger aus Leidenschaft kann Ricardo das nachvollziehen, natürlich. Trotzdem wünscht er sich mehr Bereitschaft, solche Zeichen zu setzen, die für alle spürbar sind – vielleicht sogar schmerzhaft: "Das klingt erstmal hart. Wirklich hart. Aber der ganze Laden funktioniert ja nur, weil die Pflegekräfte immer mehr machen, als sie aushalten können."
Nur so könne man die letzte Gruppe in seiner Liste der Verantwortlichen dazu bringen, sich nicht mehr wegzuducken: die Politik.
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Solange das Gesundheitswesen mehr oder weniger geräuschlos weiterarbeitet, werde sich die Politik nicht entscheidend bewegen. Da macht sich Ricardo Lange keine Illusionen: "Ich hoffe nicht so sehr auf die Politik. Wenn die was ändern wollen würden, hätten sie es längst gemacht."
Seine Hoffnung ist eher, dass endlich mehr Menschen verstehen, dass es auch um sie geht. "Durch Druck, durch Wahlen, durch öffentliche Meinung entscheiden die Menschen ja, was die Politik machen muss."
Ricardo Lange ist alles andere als ein Wutbürger, der Veränderung fordert ohne zu wissen, wie diese Veränderung genau aussehen soll. Wenn man ihn fragt, was genau die Politik machen muss, bekommt man eine konkrete Liste von Maßnahmen als Antwort, die für mehrere Wahlperioden reichen würden. Herr Lauterbach, Herr Lindner, Herr Heil... jetzt bitte ganz genau zuhören!
"Ein echter Gamechanger gegen den Pflegenotstand"
Die Anhebung des Mindestlohns für Pflegekräfte auf mindestens 16,10 Euro bis Mitte nächsten Jahres und die Tarifpflicht für Angestellte in Pflegeheimen sind schon da. Beides hält Ricardo Lange für richtig, eine angemessene Bezahlung sei die Grundlage für alles Andere. Aber: "Wir haben jetzt im Pflegeberuf eines der höchsten Ausbildungsgehälter – und gleichzeitig immer noch eine der höchsten Abbrecherquoten." Den Personalnotstand in seinem Beruf löse man eben nicht nur mit Geld – sondern vor allem mit besseren Arbeitsbedingungen.
Um die zu erreichen, schlägt Ricardo als Erstes verbindliche Personaluntergrenzen für jede einzelne Fachrichtung vor. Außerdem faire Dienstpläne, einen flächendeckenden Tarifvertrag für alle und ein Verbot für die absurden "Zuverlässigkeitsprämien", die manche Pflegekräfte ausgezahlt bekommen, wenn sie trotz Krankheit zur Arbeit erscheinen. "Was für ein Schwachsinn! Jemand der krank ist, ist ja nicht unzuverlässig – sondern einfach krank."
Auch der Profitgier im Gesundheitswesen würde Ricardo den Kampf ansagen. "Es kann nicht sein, dass sich Investmentfirmen Pflegeheime oder Arztpraxen kaufen und da Geld rausschöpfen. Und wenn schon Gewinn gemacht wird, dann muss eben ein prozentualer Anteil per Gesetz wieder zurück ins Gesundheitswesen fließen – nicht in die Taschen der Investoren."
Vor allem die Bundesländer würde Ricardo Lange in die Pflicht nehmen, endlich den Investitionsstau bei den Kliniken abzubauen. "Es gibt Kliniken, da regnet's rein. Da stehen überall Eimer rum. Das muss man sich mal überlegen." Auch das gehört zu inakzeptablen Arbeitsbedingungen.
Ricardos letzter großer Punkt sticht mitten in die aktuelle Debatte über das Rentenalter: "Unsere wertvollste Währung ist Zeit. Du kannst noch so viel Kohle verdienen – wenn dir keine Zeit mehr bleibt, sie auszugeben, dann nützt sie dir nichts." Aber Menschen im Schichtdienst haben weniger Zeit, nicht nur während ihres Arbeitslebens, sondern auch danach: "Es gibt wissenschaftliche Untersuchungen, die zeigen: Wer regelmäßig Nachtdienste macht, wenn man eigentlich schlafen sollte, verliert bis zu acht Jahre seiner Lebenszeit."
Eine Senkung des Renteneintrittsalters auf 60 Jahre ohne Abschläge hielte Ricardo für "einen echten Gamechanger gegen den Pflegenotstand. Und mal ganz ehrlich: Willst du von einer 65-jährigen Krankenschwester gepflegt werden, die kaum noch krauchen kann?"
Wenn die Pflege auf diese Weise wieder attraktiver würde, würden sich nicht nur mehr Menschen bei der Berufswahl für sie entscheiden, ist sich Ricardo sicher. Man könnte auch Hunderttausende zurückholen, die dem Beruf in den letzten Jahren entnervt oder erschöpft den Rücken gekehrt haben. Wie viele das tatsächlich sein könnten, hat die Studie "Ich pflege wieder, wenn..." ermittelt: Es könnten mindestens 300.000 Pflegekräfte sein.
Als Ricardo seinen Heilplan für das Gesundheitswesen erläutert hat, ist die heiße Schokolade längst kalt geworden. Wir brauchen eine Pause. Und beschließen, eine Runde spazieren zu gehen. Ricardo möchte mir etwas zeigen.
Gleich um die Ecke vom Landgasthof beginnt ein schnurgerader, gepflasterter Weg entlang einer Straße, die links und rechts Felder zerschneidet. Ricardo nennt ihn "meinen Laternenweg", weil er abends von Straßenlampen beleuchtet wird. Hier geht Ricardo oft mit seinen Hunden spazieren. Hier ging er auch zum letzten Mal mit Schukow, seinem braunen Akita-Husky.
"Ein Schlüsselmoment, der bei mir einiges an Umdenken bewirkt hat"
Als Schukow an einem Wochenende im Sterben liegt, will Ricardo seine nächste Schicht absagen. Aber die Klinik habe am Telefon gesagt: "Du musst kommen, wir sind unterbesetzt. Denk an die Patienten!" Da ist wieder dieses Dilemma der Pflegekräfte, das Ricardo die "moralische Erpressbarkeit" nennt. Er gibt ihr nach, geht zum Dienst. Um acht Uhr morgens schreibt ihm seine Freundin, dass Schukow eingeschlafen ist, während er arbeitet.
"Ich habe die Schicht trotzdem zu Ende gemacht, obwohl ich fix und fertig war. Zuhause konnte ich meinen toten Hund nur noch einbuddeln – verabschieden konnte ich mich nicht. Bis heute habe ich deswegen Schuldgefühle." Ein paar Wochen später sperrt die Klinik den Leiharbeiter dauerhaft für ihr Haus, weil er sich öffentlich für den Pflegeberuf einsetze und das nicht gewünscht sei.
"Das war für mich der Schlüsselmoment, der bei mir einiges an Umdenken bewirkt hat." Seitdem springt er nicht mehr einfach ein, wenn Personal fehlt. "Es dankt dir keiner."
Hat diese Erkenntnis auch geprägt, wie Ricardo über eine Welt mit einem Bedingungslosen Grundeinkommen für alle denkt? Als ich ihn das frage, höre ich viel Skepsis und offene Fragen: "Klar will ich auch Gerechtigkeit und dass alle genug Geld haben. Aber Geld hat nie nur Vorteile, es hat immer auch Nachteile. Ich möchte wissen: Welche negativen Auswirkungen hätte das Grundeinkommen auf unser gesellschaftliches Zusammenleben?"
Verändert es eine Gesellschaft, wenn auch diejenigen bedingungslos Geld bekommen, die dieser Gesellschaft gar nicht gut tun? "Du kannst der größte Arsch sein, ein Schwerverbrecher oder einfach nur faul und kriegst trotzdem dasselbe wie alle anderen?" Die Bedingungslosigkeit an der Idee überzeugt Ricardo nicht. "Ich vertrete die Meinung, dass wir alle füreinander da sein müssen, jeder so wie er kann. Ein gesellschaftliches Zusammenleben ist für mich daher nie bedingungslos."
"Irgendwann hast du ein gestörtes Verhältnis zu Geld"
Auf seinen Beruf bezogen fragt er sich außerdem: Was passiert dann mit dem Fachkräftemangel? "Ich glaube, dass viele Kollegen mit einem Grundeinkommen weniger Stunden im Krankenhaus arbeiten würden." Das wäre gut für die Attraktivität des Berufs, da sind wir uns schnell einig. Aber erstmal klingt das für ihn nach einer Verschärfung des Personalmangels.
Und doch sieht Ricardo auch eindeutig positive Seiten eines Bedingungslosen Grundeinkommens: "Vielleicht habe ich auch zu viel Angst davor. Gleichberechtigung und soziale Gerechtigkeit sind für mich wichtige Themen – gerade im Gesundheitswesen." Und er glaubt, dass die Gesellschaft weniger auf Armut und Erwerbslosigkeit herabschauen würde, wenn alle am Monatsanfang dasselbe bekämen. "Die soziale Spaltung würde sich wahrscheinlich ein bisschen lösen."
Welche Fragen und Kritik zum Grundeinkommen Ricardo Lange hat, erzählt er uns beim "Kongress der Gesellschaft" auf dem Main in Frankfurt. Alle, die mit Ricardo an Bord sind, stellen wir dir in unserer Gästeliste vor.
Und was würde er selbst mit einem Grundeinkommen anstellen? Ricardo muss nicht lange nachdenken, weil er schon seit Jahren an den Verlosungen bei Mein Grundeinkommen teilnimmt. "Ich war dieses Jahr zum ersten Mal so richtig im Urlaub, seitdem ich ein Kind war. So eine große Urlaubsreise würde ich dann wieder machen."
Wenn man wie Ricardo Zeiten mit sehr wenig Geld durchgemacht hat, versteht man, warum er sich über viele Jahre keinen Urlaub gönnte: "Irgendwann hast du ein gestörtes Verhältnis zu Geld. Selbst wenn du jetzt genug für einen Urlaub hast, machst du es trotzdem nicht – aus Angst, wieder in so eine Zwangssituation zu rutschen. Das hat mich sehr geprägt."
Mit seinem Grundeinkommen würde Ricardo außerdem auf jeden Fall "einen Tag weniger arbeiten", "mal eine Obsttüte mehr und überhaupt bewusster einkaufen" – aber auch "etwas zurücklegen, weil man immer einen Notgroschen braucht."
"Mich nicht zu äußern wäre feige"
Eine Frage an Ricardo muss ich noch loswerden, bevor unser Spaziergang endet: Würde er diesen Facebook-Post, mit dem alles anfing, jederzeit wieder schreiben? "Ja, aufgeben ist für mich keine Option! Ich finde, ich habe durch die Reichweite, die ich erlangt habe, eine gewisse Verantwortung. Wenn ich die Möglichkeit nicht nutzen würde, mich zu äußern, wäre das feige."
Das klingt selbstlos und fast nach einer Pflicht, die er einfach gerne erfüllt. Eben wie ein Mensch, der den Pflegeberuf mit Leidenschaft ausübt. Aber Ricardo denkt dabei so sehr an uns alle wie an sich selbst, wenn er mit einem Lächeln sagt: "Ich bin ja auch irgendwann alt und brauche mal medizinische Hilfe – und ich will, dass bis dahin alles besser ist."
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