Viola wird während ihres Studiums schwanger und eine von knapp anderthalb Millionen alleinerziehenden Müttern in Deutschland. Erst als die heute 56-Jährige das Bedingungslose Grundeinkommen gewinnt, kann sie wieder selbstbestimmter über ihr Leben entscheiden.
Der Mauersegler ist ein schwalbenähnlicher Langstreckenzieher, der im Sommer in Mitteleuropa und im Winter in Afrika lebt und im Sturzflug bis zu 200 Kilometer pro Stunde schnell wird. Er verbringt sein Leben buchstäblich im Flug, nur zur Brut begibt er sich auf festen Boden. Die übrige Zeit verbringt er in der Luft, wo er Insekten frisst, trinkt, sogar schläft.
Wenn Viola über ihr Jahr mit dem Grundeinkommen spricht, vergleicht sie sich mit Mauerseglern. „Sie sind frei, befreit von allen Zwängen. Das ist das Grundeinkommensgefühl.” Also: Schwerelos zu sein und in diesem Zustand das Wichtigste bewältigt zu bekommen.
Viola ist eine von etwa 1,4 Millionen alleinerziehenden Müttern in Deutschland. Ihre Geschichte steht beispielhaft für die so vieler Mütter, die sich zwischen Erwerbsarbeit, Studium, Haushalt und Kindererziehung zerreiben.
„Ich bekam mitten im Studium ein Kind. Vom Vater des Kindes hatte ich mich getrennt, bevor ich wusste, dass ich schwanger war. Er war sauer, dass ich mich entschied, es trotzdem zu bekommen. Der Streit ging durch jede gerichtliche Instanz, die es nur gab.“
Während ihres Lehramtsstudiums in Spanisch und Geschichte wird Viola schwanger und beschließt, das Kind zur Welt zu bringen. Nach der Geburt folgen Jahre juristischer Kämpfe. Viola möchte vom Kindesvater Unterhalt, der aber verweigert sich.
Damit ist Viola nicht allein. In Deutschland erhalten zwei von vier alleinerziehenden Müttern keinen Cent Unterhalt und eine von vier Müttern zu wenig. Anders gesagt: Nur für etwa ein Viertel der Kinder von alleinerziehenden Müttern wird vollständig und regelmäßig Unterhalt gezahlt.
Auch deshalb hat der deutsche Staat 2018 866 Millionen Euro aus der Staatskasse als „Unterhaltsvorschuss” bereitgestellt. Trotzdem gelten mehr als 33 Prozent aller Alleinerziehenden-Haushalte als armutsgefährdet, sagt das Statistische Bundesamt. Das sind mehr als doppelt so viele wie im gesamten Bundesdurchschnitt. Wer wie Viola alleinerziehend ist, muss fast immer schauen, wie sie oder er über die Runden kommt.
„Ich hatte keine echte Wahl”
Denkt Viola an ihre damalige Situation, erinnert sie sich besonders an die Zugeständnisse, zu denen sie das Leben als Alleinerziehende gezwungen hat. „Neben dem Studium habe ich in der ambulanten Pflege als Helferin gejobbt. Bei der Kinderbetreuung war ich auf die Hilfe meiner Mutter angewiesen”, sagt sie. Irgendwann konnte sie nicht mehr.
„Mein Sohn war ein tolles Kind, aber mega-anstrengend. Ein ADHS-Kind, die Schichtarbeit, das Studium mit den Prüfungen und kombiniert mit den Forderungen meiner Mutter – eine Sache musste raus. Ich hatte keine echte Wahl.” Ihr Lehramtsstudium bricht sie ab. Für Viola bedeutet die Mutterschaft auch, mit den eigenen Zielen flexibel umzugehen.
Fortan jobbt Viola in der Pflege, arbeitet ehrenamtlich in einem Schulprojekt und wird schließlich in Ägypten Lehrerin für Deutsch und Geschichte. Nach elf Jahren kehrt sie nach Deutschland zurück und arbeitet in einem Förderzentrum in Itzehoe. Sie wäre lieber in Hamburg, findet dort aber keine Wohnung. Weil sie ihr Studium nicht abgeschlossen hat, verdient sie weniger als normale Lehrkräfte.
Neuer Job, neue Wohnung, neue Freiheit
Dann gewinnt Viola im Sommer vor drei Jahren das Bedingungslose Grundeinkommen. Dieser Moment verändert ihr Leben schlagartig. „Ich hatte gerade todesmutig meiner Chefin mitgeteilt, dass ich den Vertrag nach den Sommerferien nicht verlängern möchte.” Sie möchte zurück nach Hamburg ziehen. Durch das Grundeinkommen fühlt sich Viola in ihrer Entscheidung bestärkt, einen anderen, einen neuen Lebensweg einzuschlagen.
Wenig später wird tatsächlich eine Wohnung in der Nähe von Hamburg frei und Viola findet auch einen Job in einem Förderzentrum in der Gegend. Das Grundeinkommen erlaubt ihr, finanziell entspannter zu leben. Nicht nur verflüchtigen sich ihre materiellen Sorgen – Viola merkt auch, dass sie wieder neue Verpflichtungen übernehmen kann.
Als Violas Mutter an Demenz erkrankt und zum Pflegefall wird, übernimmt Viola den Part der Gastgeberin bei Familienfeiern. „Dank Grundeinkommen konnte ich sagen: Kommt zu mir! Ich koche was Schönes. Was wollt ihr? Ente? Okay!”, erzählt Viola. „Das waren schöne Treffen, bei denen die Atmosphäre gelöst war, obwohl ich früher ein schwieriges Verhältnis zu meiner Mutter hatte.“
„Ich habe das Geld genutzt, um zu leben“
Heute sagt Viola: „Ich war schon vorher frei, alles zu tun, was ich wollte, nur jetzt konnte ich es mir bequem leisten. Ich habe das Geld genutzt, um zu leben.” Sie ist davon überzeugt, dass gerade die Bedingungslosigkeit wichtig sei, egal ob eine Beamtin das Geld dazu nutzt, ihre Auffahrt zu pflastern – oder sie selbst sich etwas besseren Wein leisten kann, “den tollen spanischen für sieben Euro, Sangre de Toro”.
Violas Geschichte zeigt vor allem, dass ein Bedingungsloses Grundeinkommen Menschen neuen Auftrieb geben kann, deren Lebensweg nicht geradlinig verläuft. Es ermächtigt Alleinerziehende, die oft finanziell unter Druck stehen, ein selbstbestimmteres Leben zu führen und Zwängen zu entfliehen.
„Aus dem Bedingungslosen Grundeinkommen entsteht eine Freiheit, nicht abhängig zu sein und auch nicht Rechenschaft geben zu müssen. Das ist absolute Freiheit“, sagt Viola. Rückblickend sieht sie im Jahr mit dem Grundeinkommen „das tollste Jahr meines Lebens”. Ein Leben im Flug, wie das der Mauersegler.
Unser Gastautor Jan Karon ist freier Journalist in Berlin. Er hat u.a. schon für Vice, Cicero Online und Zeit Online geschrieben. Violas Geschichte ist Teil unseres Bestsellers "Was würdest du tun?", der als Buch im Econ Verlag und als Hörbuch im Argon Verlag erschienen ist.