Beschimpft, beleidigt, bedroht: Unser Team musste in den letzten Tagen einiges aushalten. Sollte man den Hass einfach löschen und dann vergessen? Nein! Wir zeigen, was Menschen uns schreiben und antworten hier darauf.
Noch nie mussten wir hier im Magazin so viele hasserfüllte Kommentare am Stück lesen, noch nie ergossen sich so viele Beleidigungen – und die eine oder andere Drohung – aus unserem E-Mail-Postfach wie in den letzten Wochen. Was war da los?
Am 1. Februar haben wir in unserem Magazin die kritische Frage gestellt, warum sich in den aktuellen Kontroversen über die Bauernproteste, das Bürgergeld oder die Bahnstreiks so häufig einzelne Gruppen unserer Gesellschaft gegeneinander ausspielen lassen – aber nur selten ein gemeinsamer Ruf nach sozialer Gerechtigkeit für alle laut wird.
In einem Newsletter am selben Tag haben wir erklärt, warum wir uns zusammen mit 1.900 anderen Organisationen dem Bündnis Hand in Hand gegen Rechtsextremismus angeschlossen haben. Beides zusammen war für ein paar Menschen, die unsere Newsletter lesen, offenbar zu viel...
Was macht man mit so einer Nachricht: Antworten oder löschen? Vergessen oder anzeigen? "Zuerst mal muss man die Wut runterschlucken, die das bei einem selbst auslöst", verrät mir Doro aus unserem Support-Team. Sie und ihre Kolleginnen sind regelmäßig die ersten, die solche aggressiven E-Mails lesen müssen.
Wenn die eigene Wut verdaut ist, dann entscheiden Doro und ihr Team mit kühlem Kopf, was mit der Nachricht passiert. "Wer uns Fragen stellt oder Kritik hat, die ansatzweise sachlich bleibt, bekommt in jedem Fall eine Antwort", sagt Doro.
"Unsere Crowd ist viel freundlicher als das Netz im Allgemeinen"
Anders gehen wir mit allen beleidigenden oder menschenverachtenden Nachrichten um. Den Absender der E-Mail oben haben wir mittlerweile angezeigt. "Das Internet ist kein rechtsfreier Raum", begründet Doro. Nach der Anzeige landete die E-Mail im Papierkorb: "Wir würdigen niemanden mit einer Antwort, der uns beschimpft."
Etwa 50 hasserfüllte E-Mails musste unser Support-Team in den letzten Wochen auf diese Weise entsorgen. Auch wenn jede einzelne dieser E-Mails eine zu viel ist, steckt in dieser Zahl auch eine positive Botschaft: Unsere Newsletter werden regelmäßig von mehreren hunderttausend Menschen gelesen. Wenn 50 Menschen mit Beleidigungen antworten, dann heißt das eben auch, dass hunderttausende Andere es nicht tun.
Doro unterstreicht diesen positiven Gedanken: "Unsere Crowd ist eigentlich viel freundlicher und konstruktiver als das Netz im Allgemeinen." Es ist offensichtlich eine kleine Minderheit, die sich durch die Lautstärke und Grobheit ihrer Sprache viel Gehör verschafft. Das funktioniert in unserem Postfach genau so wie bei den Populisten auf der politischen Bühne – aber nur, wenn wir es zulassen.
Knapp über dreißig Kommentare wie diesen haben wir gelöscht, seitdem der Artikel über den Mangel an Solidarität in unserem Magazin erschien. Der Vorwurf des Zensierens ist noch der harmloseste Teil dieses Kommentars, den üblen Rest können und wollen wir hier nicht zitieren.
Er steht aber beispielhaft für den zigfachen Aufschrei, wenn wir falsche Behauptungen, Beleidigungen oder Schlimmeres nicht einfach so stehen lassen: 'Das ist ja Zensur wie damals bei der Stasi!' heißt es dann oft. Als Ostdeutscher kann ich darauf nur gelassen antworten: Nein, ist es natürlich nicht.
Wir haben uns klare Regeln gegeben, eine Netiquette, wann wir einen Kommentar stehen lassen und wann wir ihn löschen. Jede*r kann sie vor dem Kommentieren lesen. Darin steht: "Diskutiere bitte respektvoll: Wir dulden weder Beleidigungen noch Diskriminierungen in jedweder Form. Verzichte bitte auf alle rechtswidrigen, extremistischen oder verschwörungstheoretischen Kommentare." Und auch als Konsequenz: "Wir löschen alle Kommentare, die diese Regeln verletzen."
Das hat mit Stasi so viel zu tun wie China mit Meinungsfreiheit
Es ist nicht zu viel verlangt, sich auf diese wenigen Regeln zu einigen. Deswegen wenden wir unsere Netiquette kompromisslos an. Und wenn wir einen Kommentar löschen, machen wir es ohne Ausnahme transparent. Das hat mit Stasi-Methoden ungefähr so viel zu tun wie China oder Russland mit Meinungsfreiheit.
Wir stellen damit einfach sicher, dass in unserem Magazin sachliche Diskussionen über Sozialpolitik und vor allem das Bedingungslose Grundeinkommen einen geschützten Raum haben. Wie wichtig das ist, zeigt eine brandaktuelle Studie zu Hass im Netz: 49 Prozent aller Menschen wurden online schon mal beleidigt. 55 Prozent haben sich deswegen schon teilweise aus Diskussionen zurückgezogen.
Dagegen arbeiten wir jeden Tag an. In den Magazin-Kommentaren unterstützen uns dabei sehr viele Menschen in unserer Crowd, die sich mit sachlichen Argumenten und viel Geduld den Verdrehungen und dem Hass entgegenstellen. Dafür sind wir sehr dankbar.
Aus manchen Nachrichten wie dieser klingt – irgendwo zwischen Verharmlosungen oder Rechtfertigungen extremistischer Politik – so etwas wie inhaltliche Kritik an uns durch. Wir nehmen das wahr, selbst wenn wir die E-Mail selbst ignorieren oder den Kommentar löschen, weil er die Netiquette klar verletzt. Als häufigsten Vorwurf an uns kann man herauslesen: 'Ihr spaltet, weil ihr nicht politisch neutral seid!'
Aber da liegt ein Missverständnis vor: Wir sind parteipolitisch genauso neutral wie die Idee des Bedingungslosen Grundeinkommens selbst. Nichts links, nicht rechts, sondern für alle! Das belegt schon der Magazin-Artikel, der einen Teil des Hasses ausgelöst hat: Darin kritisieren wir die soziale Symbolpolitik der Bundesregierung genauso wie den sozialen Populismus der Opposition. Wir schlagen uns nie auf eine Seite – außer auf die Seite echter sozialer Gerechtigkeit!
Im Gegenteil: Wir hätten es am liebsten, dass möglichst alle demokratischen Parteien das Bedingungslose Grundeinkommen endlich sachlich diskutieren – weil es tatsächlich sehr gut in die meisten Parteiprogramme passen würde. Das haben wir vor der letzten Bundestagswahl mal sehr ernsthaft und mal augenzwinkernd gezeigt.
Parteipolitisch neutral zu bleiben ist aber nicht dasselbe wie völlig unpolitisch zu sein. Das Grundeinkommen ist eine zutiefst politische Idee. Wenn es jemals mehr sein soll als eine Verlosung an wenige, die sich aus freiwilligen Spenden finanziert, dann braucht es die Politik, die es für alle einführt. Dass das schon morgen ginge, wissen wir längst.
Aber noch ist das Bedingungslose Grundeinkommen für alle nur eine machbare Theorie. In der Praxis kommen wir dem Ziel bedingungsloser sozialer Sicherheit und Chancengleichheit gerade keinen Schritt näher – weder bei der Kindergrundsicherung, beim Klimageld, noch bei den Bürgergeld-Sanktionen. Das nervt uns auch.
Ich werde aber nie verstehen, wie Menschen, denen die soziale Frage genauso wichtig ist wie uns, auf die Idee kommen, aus Frust ausgerechnet auf Rechtspopulist*innen und Rechtsextremist*innen zu setzen? Dieser scheinbare Ausweg, der in der E-Mail oben fast zwangsläufig klingt, ist eine Sackgasse. Ja, auch bei der AfD. Wer das nicht glaubt, schaue nur ein einziges Mal in ihr Programm.
Mit Rechtspopulisten und Rechtsextremen – egal in welcher Partei – wird es niemals soziale Gerechtigkeit geben – und schon gar kein Bedingungsloses Grundeinkommen. Warum ich da so sicher bin? Weil eine sozial gerechte, solidarische, chancengleiche Gesellschaft für alle ihre größte Angst ist.
Wer hat das letzte Wort?
Nach dieser Klarstellung wird es ähnliche E-Mails und Kommentare hageln wie die, die wir hier zitiert haben. Das ist uns klar. Wie wir mit ihnen umgehen werden, haben wir ebenfalls hier gezeigt. Dem geballten Hass der letzten zwei Wochen zum Trotz gilt nach wie vor, was am Ende unserer Netiquette steht: "Wir freuen uns auf deine Meinung!"
Das letzte Wort sollen für heute aber nicht die wenigen Menschen haben, die uns anschreien, damit wir schweigen – sondern eine der vielen Stimmen, die unsere kritische, aber sachliche Arbeit schätzen:
Diesen Dank geben wir nur zu gerne zurück: Danke, dass ihr uns lest, auch mal mit uns streitet und gemeinsam das Bedingungslose Grundeinkommen ausprobiert!
Wenn du unsere Arbeit auch wertschätzt und uns helfen möchtest, kannst du bereits ab 1 Euro pro Monat Crowdhörnchen werden – oder uns einmalig durch deine Spende unterstützen. Wenn du einer von mehr als 200.000 Menschen bist, die das längst tun, sagen wir: Herzlichen Dank!
Was denkst du? Ist es richtig, solche Hass-Nachrichten hier zu teilen? Schreib es uns in die Kommentare – und verzichte dabei gerne auf alles, was du selbst nicht über dich lesen möchtest...
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