Welches beliebte Gesellschaftsspiel nimmt lahme Floskeln kräftig aufs Korn – und schärft auf diese Weise das Bewusstsein für so manch abgedroschene Phrase? Bingo!
Nein, wirklich – es ist Bingo. Bullshit-Bingo, um genau zu sein. So geht es bei unserer Variante des Spiels auch um weit mehr als gute Unterhaltung: Wir wollen gängige Mythen und Halbwahrheiten rund um die Vermögensverteilung in Deutschland entlarven und sie mit harten Fakten konfrontieren.
Neun Floskeln gegen den sozialen Ausgleich geht es in unserem Bullshit-Bingo hier und heute an den Kragen.
Denn die Wahrheit ist, dass ein erheblicher Teil des Reichtums in Deutschland einfach vererbt beziehungsweise verschenkt – und gar nicht erarbeitet wird. Erbschaften und Schenkungen machen 70 Prozent (!) des Milliardenvermögens aus, so werden bei uns jährlich bis zu 400 Milliarden Euro verschenkt oder vererbt.
Wachsende Aktien- und Immobilienwerte, Zinsen und Mieteinnahmen – sowie eben letztendlich die ungenügende Besteuerung von Vermögen – tun ihr Übriges dafür, dass reiche Menschen noch reicher werden. Mit wirtschaftlicher Leistungsgerechtigkeit hat das dann ja nicht viel zu tun, oder?
Wenn du das nicht wusstest, ist es aber nicht deine Schuld. Denn Menschen verstecken ihre Privilegien häufig, machen sie bewusst unsichtbar. Die Wissenschaftlerin Taylor Phillips arbeitet hierfür mit dem Begriff der “motivierten Unsichtbarkeit”.
Das große Problem dabei ist die Annahme, dass wir alle alles schaffen können, wenn wir uns nur genügend Mühe geben. Tatsächlich haben wir aber eben nicht alle dieselben Ausgangschancen. Sowohl Armut als auch Reichtum sind in vielen Fällen vom System begünstigt.
Dem Soziologen Pierre Bourdieu zufolge nehmen Menschen verschiedene Arten des Kapitals mit in ihr Leben: ökonomisches, kulturelles, soziales und symbolisches Kapital. Finanzielles Kapital beispielsweise kann dann, über Studiengebühren, in Bildung – und damit in kulturelles Kapital umgewandelt werden.
Das kann man sich in etwa so vorstellen: Wer Geld hat, kann sich aussuchen, wo er oder sie studiert, muss nicht neben dem Studium arbeiten, kann problemlos unbezahlte Praktika absolvieren, knüpft schneller bessere Beziehungen (oder hat sie gar über die Eltern bereits), ist am Ende schneller fertig und kriegt dann einen besseren Job.
Die Chancen, die uns als Kindern und Jugendlichen geboten werden, sind also wichtige Wegweiser für die soziale Position, die wir später in der Gesellschaft einnehmen.
Klar, Krisen können durchaus Antrieb für Innovationen sein. Aber eben nicht für alle, denn Krisen treffen meistens die Ärmsten am härtesten: Je mehr Ressourcen jemand zur Verfügung hat, desto höher ist die Widerstandsfähigkeit dieser Person und desto leichter fällt es ihr, Krisen zu bewältigen. Eigentlich ja logisch.
So war zum Beispiel das Coronajahr 2020 weltweit eines der lukrativsten Jahre überhaupt für Milliardär*innen – auch in Deutschland: 29 neue Milliardär*innen schuf das Krisenjahr hierzulande, dabei ist das Vermögen aller 136 einheimischen Milliardär*innen um 100 Milliarden Euro gewachsen. Sie haben die Krisen also nicht nur besser überstanden, sondern von ihnen auch profitiert. Gleichzeitig sind 2020 weltweit mehr als 100 Millionen Menschen in absolute Armut abgerutscht.
Nun kommt leider eine Krise selten allein, und so hatten und haben wir auch noch mit Klimawandel, Krieg und gestiegenen Lebenskosten einiges zu tun. Und hier wird es nun ziemlich zynisch: Eine Studie des Internationalen Währungsfonds (IWF) macht deutlich, dass Unternehmensprofite fast die Hälfte der Inflation in Europa ausmachen (englisch). Für manch eine*n stellen Krisen also durchaus Chancen dar.
Spoiler Alert: Ob das stimmt oder nicht, lässt sich in Deutschland zumindest mal nicht mit der Selbstwahrnehmung von uns Menschen beantworten. Denn viele unterschätzen oder überschätzen ihr Vermögen. Das prominenteste Beispiel hierfür ist vielleicht der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz. Der nämlich zählt sich selbst zum gehobenen Mittelstand – trotz seines Millionenvermögens.
Das ist an sich erstmal ganz normal (zumindest bei weniger extremen Beispielen), denn wir Menschen möchten natürlich weder belasten, noch extrem nach oben hin herausstechen – und gegebenenfalls dafür zur Kasse gebeten werden.
Hinzu kommt, dass die Fixierung auf das Haushaltseinkommen zur sozialen Positionierung andere Aspekte von Wohlstand (wie Vermögen, die berufliche oder die Wohnsituation) einfach übersieht.
Ein wesentliches Argument gegen Wohltätigkeit als Lösung für die wachsende Ungleichheit ist aber außerdem, dass wir uns so als Gesellschaft von den Launen der (Über-)Reichen abhängig machen würden. So könnte die finanzielle Elite bestimmen, wann, wofür und wie viel sie spendet – und wir als Gesellschaft würden sie dabei, bewusst oder unbewusst, auch noch moralisch über die Empfänger*innen ihrer (vielleicht) großzügigen Gaben stellen.
Jain. Nach Belgien hat Deutschland tatsächlich die höchste Steuer- und Abgabenlast aller OECD-Länder – das gilt jedoch vor allem für Einkommen, nicht aber für Kapital. Kaum ein Land besteuert Vermögen (wie auch Erbschaften und Schenkungen) so niedrig wie Deutschland.
Das ist in zweierlei Hinsicht problematisch. Zum einen würde der Staat jährlich bis zu 120 Milliarden Euro mehr einnehmen, würden Vermögen bei uns so stark besteuert wie zum Beispiel in Frankreich, Großbritannien oder den USA. Zum anderen soll sich doch eigentlich die Arbeit wieder lohnen - oder, FDP?
Das Kapital als scheues Reh, das wir ja. nicht. verschrecken. dürfen – ein ganz alter Hut, und doch besteht das Bild den Test der Zeit nicht. Denn es ist noch gar nicht so lange her, da hatten uns die Schreckgespenster Kapitalflucht und Deindustrialiserung nicht dermaßen im Würgegriff.
Investitionen steigen normalerweise dann, wenn die Nachfrage wächst – staatliche Sparmaßnahmen infolge geringer Steuereinnahmen schaden da der Wirtschaft. Und es gibt ebenfalls keinen Beweis dafür, dass Arbeitsplätze durch eine gerechte Erbschaftsteuer gefährdet wären. Der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesministerium der Finanzen bestätigte dies 2012 und fügte hinzu, dass die geringen Steuern für Reiche sogar Arbeitsplatzverluste verursachen könnten.
So gibt es heute auch eine wachsende Zahl (zum Teil sehr) reicher Menschen in Deutschland, die selbst für eine gerechte und verfassungsgemäße Besteuerung eintritt. Einige dieser Menschen haben sich in der Initiative taxmenow ("besteuert mich jetzt") zusammengefunden.
Sie fordert die Abschaffung von Steuervorteilen, zugleich will taxmenow aber auch eine höhere Besteuerung von Kapitalerträgen, Wertzuwächsen bei Immobilien, großen Vermögen und Finanztransaktionen erreichen.
Einmal mehr entpuppte sich da die vielbeschworene Gießkannen-Logik des sogenannten "Trickle-Down-Effekts" als Mythos: Das ist die Idee, dass Steuererleichterungen und Boni für Reiche wie Wasser durch die Gesellschaftsstruktur nach unten tröpfeln.
Statt eines üppig-grünenden Gartens, in dem der Reichtum gleichmäßig wächst und gedeiht, erleben wir die fortwährende Ausdehnung der Kluft zwischen Arm und Reich. Diese Form der Politik hat uns keine gerechte Verteilung gebracht.
In absoluten Zahlen stimmt das. Aber relativ gesehen zahlen die Superreichen oft einen kleineren Teil ihres Einkommens an Steuern als Menschen mit kleinen und mittleren Einkommen. Das liegt unter anderem daran, dass Vermögen und Kapitalerträge weniger stark besteuert werden als Arbeitseinkommen (siehe Floskel 7).
So geht in Deutschland fast ein Drittel des Steueraufkommens auf die Kappe der oberen zehn Prozent. Sie verdienen aber auch fast ein Drittel der Höhe aller Einkommen zusammengerechnet. Hinzu kommt: Wer knapp 30 Prozent (siehe Floskel 6) des eigenen Einkommens für indirekte Steuern abgibt, spürt das bei einem Jahreseinkommen von 30.000 Euro sicherlich stärker als bei einem von 150.000 Euro.
Den großen Unterschied machen auch hier wieder die Kapitaleinkünfte, Schenkungen innerhalb der Familie, die Absetzung bestimmter Kosten – zum Beispiel das teure Internat der Tochter – und andere geschickte (legale) Steuertricks.
Interessiert dich unser Themenschwerpunkt? Das Ende der Ungleichheit stellt die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich in den Vordergrund – und blickt auf verschiedene Möglichkeiten, diese zu überwinden.
Und du? Hast du dich vielleicht selbst schon hin und wieder dabei erwischst, wie du eine dieser Floskeln gedacht oder gesagt hast? Wie wichtig ist dir sozialer Ausgleich? Verrate es uns in den Kommentaren.