Unbezahlbar, das ist das Hauptargument der Kritiker des Grundeinkommens. Dabei könnte eine radikale Steuerreform Milliarden bringen und die Ungleichheit reduzieren.
Das Thema bedingungsloses Grundeinkommen sorgt regelmäßig für emotionale und kontroverse Diskussionen. Viele Menschen in Deutschland sprechen sich dafür aus – selbst wenn sie selbst unter dem Strich finanziell stärker als bisher belastet würden.
Das wohl wichtigste Argument dagegen ist die Finanzierbarkeit: Die notwendigen Steuererhöhungen würden das Land in den wirtschaftlichen Ruin treiben. Berechnungen des DIW Berlin im Auftrag des Vereins Mein Grundeinkommen zeigen indes, dass dies so nicht stimmt, sondern dass eine Finanzierung prinzipiell möglich ist. Für die allermeisten Menschen hätte das Grundeinkommen keine zusätzliche Belastung zur Folge.
Über Marcel Fratzscher
Marcel Fratzscher ist Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin). Der 52-jährige Ökonom forscht seit vielen Jahren für ein effizienteres Staatswesen, eine gerechtere Steuerpolitik und mehr Teilhabe für alle.
Als existenzsicherndes Grundeinkommen nimmt die Studie einen monatlichen Betrag von 1.200 Euro pro Erwachsenen sowie 600 Euro pro Kind unter 18 Jahren an. Dies würde den Berechnungen zufolge Gesamtkosten von 1.100 Milliarden Euro im Jahr verursachen, also etwa ein Viertel der Wirtschaftsleistung.
Allerdings würde dieses Grundeinkommen alle Sozialleistungen (etwa Bürgergeld, Sozialhilfe, Bafög, Wohngeld, Kinderzuschlag) ersetzen und somit Einsparungen von 100 Milliarden Euro pro Jahr bedeuten. Bleibt also eine Nettobelastung von rund einer Billion Euro.
Diese Zahl ist weniger dramatisch, als sie zunächst klingen mag. Die Studie zeigt, dass der allergrößte Teil der erforderlichen Summe durch eine einheitliche Steuer von 50 Prozent auf alle Einkommen aus Arbeit und Kapital (plus eine einheitliche Mehrwertsteuer sowie eine CO₂-Steuer) finanziert werden kann. Dies bedeutet, dass jeder Mensch nach Erhalt eines bedingungslosen Grundeinkommens ab dem ersten durch Arbeit oder Kapital verdienten Euro lediglich 0,50 Euro davon behalten kann, plus die 1.200 Euro beziehungsweise 600 Euro an Grundeinkommen. Freibeträge gäbe es nicht.
Der wohl wichtigste Punkt der Kritikerinnen und Kritiker wird nun sein, dass eine solch hohe Flat Tax erheblichen wirtschaftlichen Schaden anrichtet. Dies ist jedoch unwahrscheinlich, wenn man sich die Berechnungen genauer anschaut: Die Spitzenverdienenden – also die zehn Prozent mit den höchsten Einkommen – würden bei einem solchen Modell circa 15 Prozent weniger Einkommen haben als bisher. Denn heute liegt der Spitzensteuersatz bereits bei 42 Prozent und bei 45 Prozent mit Reichensteuersatz.
Zu Zeiten von Bundeskanzler Helmut Kohl lag der Spitzensteuersatz sogar deutlich über 50 Prozent und trotzdem waren die Achtziger- und der Anfang der Neunzigerjahre wirtschaftlich durchaus sehr gute Jahre mit höheren Wachstumsraten als heute. Die Behauptung, eine solche Flat Tax würde wirtschaftlichen Wohlstand zerstören, ist somit wenig plausibel.
Dieses Modell des bedingungslosen Grundeinkommens hätte allerdings erhebliche Verteilungswirkungen für die Gesellschaft. Die unteren 70 bis 80 Prozent in der Einkommensverteilung würden finanziell entlastet, also nicht nur diejenigen, die heute in Armut oder mit wenig Einkommen leben, sondern auch die gesamte Mittelschicht der Gesellschaft.
Die Berechnungen zeigen, dass die Einkommensungleichheit (gemessen am Gini-Koeffizienten) um ein Drittel sinken würde. Gerade Familien mit Kindern würden stärker finanziell profitieren, Singles dagegen weniger stark. Die Anzahl der von Armut gefährdeten Menschen würde stark sinken: von 13 auf 4 Millionen Bürgerinnen.
Durch ein solches Steuermodell verbleibt jedoch eine Finanzierungslücke von knapp 200 Milliarden Euro. Dafür stellt die Analyse verschiedene Szenarien auf. Eine Erhöhung der Steuer auf 60 Prozent könnte zum Beispiel die Lücke schließen, würde jedoch eine erheblich stärkere Belastung für das obere Drittel der Gesellschaft bedeuten.
Eine Alternative wäre die Einführung oder Erhöhung von vermögensbezogenen Steuern wie auf Immobilien oder bei der Erbschaftsteuer. Dabei muss betont werden, dass kaum ein Land in der Welt heute Arbeit so hoch und Vermögen so gering besteuert wie Deutschland. Würde Deutschland Immobilien sowie Grund und Boden genauso stark besteuern wie Frankreich, die USA oder Großbritannien, dann könnte der deutsche Staat drei Prozent der Wirtschaftsleistung oder 120 Milliarden Euro pro Jahr an zusätzlichen Steuereinnahmen generieren – und dies ohne erheblichen wirtschaftlichen Schaden oder Kapitalflucht.
Schreckt das Grundeinkommen vom Arbeiten ab?
Und es gibt weitere Alternativen und Optionen, wie der Staat zusätzliche Steuereinnahmen generieren könnte – und dabei wirtschaftlichen Schaden sogar verringern könnte. Dazu gehört eine gerechte Besteuerung durch die Abschaffung zahlreicher Ausnahmen und Privilegien wie für Immobilien, bei der Erbschaftsteuer und bei klimaschädlichen Subventionen.
Den wichtigsten Punkt der Kritiker kann die Studie jedoch nicht beantworten, nämlich mögliche Verhaltensänderungen. Wie viele Menschen würden sich mit einem bedingungslosen Grundeinkommen dafür entscheiden, nicht mehr oder sogar weniger zu arbeiten? Und was hieße das für dessen Finanzierbarkeit?
Dies ist vielleicht die entscheidende Frage, die aber niemand in der Welt heute mit Verlässlichkeit beantworten kann. Die Kritiker haben recht, dass manche Menschen durch ein solches Grundeinkommen ihre bezahlte Arbeit reduzieren und sich andere Tätigkeiten im Privaten suchen werden – für sich persönlich oder für eine ehrenamtliche Tätigkeit, so wie viele Umfragen dies zeigen.
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Es gibt jedoch genauso gute Argumente, wieso ein bedingungsloses Grundeinkommen die Arbeit und die Produktivität von vielen Menschen erhöhen könnte. Ein zentrales Argument ist die massiv verbesserte Effizienz der Steuer- und Sozialsysteme. Heute bedeutet der Wust an Leistungen, Steuern und Abgaben für viele Menschen, vor allem mit geringeren Einkommen, dass sie eine Transferentzugsrate von nahezu 100 Prozent haben.
Dies bedeutet konkret, dass durch das Abschmelzen von Wohngeld, Kinderzuschlag oder Sozialhilfe manche Menschen durch mehr Arbeit und ein höheres Arbeitseinkommen am Ende des Monats trotzdem kaum mehr verfügbares Einkommen haben als vorher. Die Anreize sind daher gering, mehr oder in anderen Arbeitsformen (beispielsweise nicht mehr in Minijobs) tätig zu sein. Damit entgehen auch Wirtschaft und Staat erhebliche Leistungen und Einnahmen.
Massive Effizienzsteigerungen möglich
Ein zweiter, erheblicher finanzieller Vorteil eines bedingungslosen Grundeinkommens sind die massiven Einsparungen bei der staatlichen Bürokratie. Viele Fachkräfte könnten den Weg in Unternehmen und solche Tätigkeiten finden, die nicht lediglich soziale Leistungen verwalten, sondern einen Mehrwert für Wirtschaft und Gesellschaft schaffen.
Die Logik des Staates und seiner Sozialsysteme würde sich grundlegend verändern: weg von einem reaktiven Sozialstaat, der erst dann reagiert, wenn ein Schaden entstanden ist (eben etwa Arbeitslosigkeit oder fehlende Qualifizierung), hin zu einem aktiven Staat, der befähigt und vorbeugt.
Da also klar ist, dass ein bedingungsloses Grundeinkommen prinzipiell finanzierbar ist, können wir uns nun darauf konzentrieren, wie es das Verhalten der Menschen verändert – im Guten wie im Schlechten, aus der Sicht des Staates, aber auch der Gesellschaft. Dies versucht der Verein Mein Grundeinkommen seit einigen Jahren durch ein Feldexperiment – das wissenschaftlich vom DIW Berlin und anderen Forschungsinstituten begleitet wird – herauszufinden.
Dies ist ein wichtiges Experiment mit ungewissem Ausgang, ob das bedingungslose Grundeinkommen wirklich eine realistische und wünschenswerte Lösung ist. Es dient auch dazu, besser zu verstehen, was Geld mit Menschen macht und wie der Staat seine Sozialsysteme umgestalten sollte, um seine Aufgaben besser erfüllen zu können.
Überzeuge dich selbst
In unserem Grundeinkommens-Konfigurator kannst du selbst der Staat sein, der ein Grundeinkommen für alle einführt. Ganz so, wie du es am gerechtesten findest! Der Konfigurator zeigt dir sofort, wie viel Geld du unterm Strich hättest, wer mehr hätte und wer draufzahlen müsste. Probiere es einfach mal aus!
Was denkst du? Überzeugen dich Marcel Fratzschers Argumente zur Finanzierbarkeit des Grundeinkommens? Welche Fragen sind für dich jetzt noch offen? Schreib es uns in die Kommentare!
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