Mehr als 176.000 Menschen forderten per Petition vom Bundestag ein Bedingungsloses Grundeinkommen, um die Folgen der Coronakrise zu mildern. Sechs Monate ist das her. Am Montag wird die Petition endlich im Parlament verhandelt. Kommt jetzt das Corona-Grundeinkommen für alle?
Susanne Wiest kann es kaum noch erwarten: "Ich bin nicht aufgeregt, aber angeregt", sagt die Urheberin der größten Online-Petition, die jemals beim Bundestag eingereicht wurde. Sie zentriere sich vor dem großen Tag vor allem mit Gartenarbeit. "Im Herbst gibt's in meinem Garten immer was zu tun."
Dass es Herbst werden würde, bis ihre Petition endlich im zuständigen Ausschuss des Bundestages verhandelt wird, hätten wohl weder Susanne Wiest noch die 176.000 Menschen gedacht, die sie im März und April unterzeichnet haben.
Damals rollte gerade die erste Coronawelle übers Land. Die wirtschaftlichen und sozialen Folgen der Pandemie zeichneten sich bereits ab. Angestellte wie Selbstständige verloren von heute auf morgen ihr Einkommen, viele ihre Existenz. "Mein erster Gedanke war: Wenn wir doch bloß jetzt schon das Bedingungslose Grundeinkommen hätten!" erinnert sich Susanne Wiest.
Ist es schon zu spät für die Krisenhilfe?
Ihre Petition forderte genau das: ein existenzsicherndes Bedingungsloses Grundeinkommen für alle Bürger*innen. Zeitlich befristet, aber solange wie nötig. "Wir müssen dafür sorgen, dass niemand durch das bürokratische Raster der Zuständigkeiten fällt und dass niemand in Existenznot gerät", so steht es im Petitionstext.
Aber die Hoffnung, dass die erfolgreiche Petition schnell im Bundestag verhandelt werden könnte, zerschlug sich. Schon im Juni wurde klar: Der Petitionsausschuss wird Susanne Wiest und ihr Anliegen erst weit nach der Sommerpause anhören. Eine Krisenhilfe, die erst nach der Krise diskutiert wird? Frustrierend.
"Die bisherigen Maßnahmen wirken nicht zielgenau"
Heute wissen wir, dass die Krise nicht vorbei ist, sondern sich in diesen Tagen mit Macht zurückdrängt in unseren Alltag. Die zweite Welle rollt. Es ist also noch nicht zu spät für das Corona-Grundeinkommen. Die Verzögerung hat sogar einen Vorteil.
"Heute können wir abschätzen, wie die bisherigen Hilfsmaßnahmen gewirkt haben", erklärt Susanne Wiest. "Wir sehen, dass sie nicht zielgenau wirken. Zielgenau wäre nur das Grundeinkommen – weil es bei allen ankommt, die Unterstützung benötigen."
Eine Hilfe, die gerade deshalb zielgenau ist, weil sie alle bekommen? Was zunächst wie ein Widerspruch klingt, wird immer einleuchtender, je länger die Krise dauert. Monat für Monat melden sich mehr Branchen zu Wort, die bisher durch alle Hilfsnetze fallen. Stichwort: Soloselbstständige.Retten wir diese Branchen, eine nach der anderen, kommen wir am Ende dort an, wo das Corona-Grundeinkommen von Anfang an hinwollte: zu einer flächendeckenden Soforthilfe für alle.
Oder, wie es Susanne Wiest in ihrer Petition formuliert: "Es ist nicht die Zeit für Bürokratie, Kontrolle und Bedarfsprüfungen. Es ist Zeit für Zusammenhalt, gegenseitiges Vertrauen und schnelle, unbürokratische Hilfe."
Der Fuß in der offenen Tür
"Wir sind gut vorbereitet, haben unsere wissenschaftliche Vorarbeit gemacht", sagt Susanne Wiest mit Blick auf die Anhörung am kommenden Montag um 12 Uhr mittags im Marie-Elisabeth-Lüders-Haus im Regierungsviertel.
Zweieinhalb Minuten lang dürfen sie und Prof. Dr. Bernhard Neumärker ihr konkretes Konzept eines Corona-Grundeinkommens vorstellen. Dann stellen die Abgeordneten des Petitionsausschusses eine Stunde lang ihre Fragen. Die Sitzung wird live übertragen. Susanne Wiest hofft, dass viele Menschen zusehen.
Wird am Montag das Corona-Grundeinkommen für alle beschlossen? Nein. Aber Susanne Wiest ist dennoch optimistisch: "Das Grundeinkommen bekommt eine Stunde Raum im Parlament. Wenn wir rüberbringen, dass das Thema mittlerweile im Bewusstsein der Bevölkerung als einfache und klare Lösung angekommen ist, dann wäre das ein großer Schritt vorwärts."
Eine konkrete Forderung hat Susanne Wiest an die Parlamentarier: eine Plenardebatte über das Grundeinkommen im Bundestag sobald wie möglich. "Wir haben mit der Petition eine Tür zur Politik aufgestoßen. Jetzt behalten wir einen Fuß in der offenen Tür."
353.851
Menschen haben bisher
1.876
Grundeinkommen finanziert