Wir wollten wissen, was passiert, wenn Geld kein Stressfaktor mehr ist. Werden wir mutiger? Gelassener? Offener? Jetzt liegen die Ergebnisse der ersten Langzeitstudie zum Grundeinkommen vor. Und die zeigen: Menschen bleiben, wer sie sind – und treffen trotzdem ganz andere Entscheidungen.
Als im Juni 2021 das Pilotprojekt Grundeinkommen startete – die erste Langzeitstudie Deutschlands zur Wirkung des Bedingungslosen Grundeinkommens – war die Welt noch eine andere: Keine Inflation, kein Krieg in Europa, keine Energiekrise. Fast forward zu heute und wir führen wie selbstverständlich ganze Unterhaltungen mit künstlicher Intelligenz. Im Weißen Haus sitzt (schon wieder) der Orange Man. Und im Kanzleramt nun Fritze Merz.
Gut drei Jahre also, die alles verändert haben. Alles? Nicht ganz. Im Pilotprojekt blieben alle Teilnehmenden erstaunlich stabil – mit oder ohne Grundeinkommen: Geld und finanzielle Sicherheit veränderten weder ihre Persönlichkeit noch ihre grundlegenden Überzeugungen.
Was macht so bedingungsloses Geld mit den Menschen – und auch mit ihrem Innersten?
Vereinsvorständin Kirsten Herrmannim Podcast 'Bedingungslos: Die Wahrheit über das Grundeinkommen'
Die Studienteilnehmer*innen hielten sich weiterhin für ähnlich risikofreudig oder geduldig wie zuvor. Auch ihr Umgang mit To-dos blieb der gleiche: Wer vorher gern aufschob, tat dies auch weiterhin. Und selbst politisch blieb bei ihnen alles beim Alten: Sie wählten weiterhin dieselben Parteien, vertrauten dem Staat weder mehr noch weniger als zuvor.
Sogar die grundlegende Einschätzung, ob Erfolg im Leben eher von harter Arbeit oder von Glück abhängt, blieb konstant. Kein Unterschied – weder über die Zeit noch im Vergleich zur Gruppe ohne Grundeinkommen. Und das, obwohl die Teilnahme selbst vom Zufall bestimmt war: Wer ausgelost wurde, erhielt drei Jahre lang 1.200 Euro im Monat – ganz ohne (Gegen-)Leistung. Aber selbst das konnte das Narrativ der Leistungsgesellschaft unter den Teilehnmenden nicht vollständig aushebeln.
Also doch kein Game Changer?
Tja. Dann macht uns das Grundeinkommen wohl doch nicht alle zu besseren Menschen? Jain. Genau an dieser Stelle wurden uns nämlich auch die Grenzen des Projekts bewusst. Denn die Laufzeit von drei Jahren wurde von den Forschenden zwar ganz bewusst gewählt:
"Planungszeiträume bei Menschen zwischen 20 und 40 liegen bei circa zwei Jahren." Drei Jahre seien deshalb in dieser Altersgruppe ausreichend, "um sich sowohl hin als auch wieder zurück zu entscheiden", erklärt Prof. Dr. Susann Fiedler, die Verhaltensforscherin im Pilotprojekt.
Gleichzeitig hängt es aber natürlich stark davon ab, was genau man eigentlich untersuchen möchte: Drei Jahre sind viel – aber auch genug, um grundlegende Weltbilder zu verschieben? "Solche Präferenzen sind ganz schön stabil", führt Susann weiter aus. "Die verändern sich typischerweise nur in den jungen Jahren. Also, wenn ich anfange zu lernen, wenn ich ein Kind bin, wenn ich von den Vorbildern um mich herum und meiner Umwelt lerne."
Und dann wäre da auch noch die Frage nach der Geldquelle. Denn: Die Wirkung des Grundeinkommens hängt nicht nur davon ab, dass es gezahlt wird – sondern auch von wem.
In unserem Fall kam das Geld für die Studie durch Crowdfunding zustande, für das Pilotprojekt spendeten über 200.000 Menschen aus der Zivilgesellschaft. Das ist toll und wahnsinnig wichtig, denn die Geschichte der Grundeinkommensforschung zeigt, dass gerade bei lang angelegten Projekten unabhängige Finanzierung essenziell ist. Viele staatlich initiierte Studien wurden nach Regierungswechseln abgebrochen oder verkleinert.
Das leuchtet also erstmal alles ein – und klingt trotzdem irgendwie ernüchternd? Das war es für uns zunächst auch. Denn viele unserer Gewinner*innen haben uns über die Jahre immer wieder erzählt: Das Grundeinkommen habe sie toleranter gemacht, geduldiger, offener gegenüber anderen Menschen.
Keine neuen Einstellungen – aber andere Entscheidungen
Und doch: Während die allermeisten Überzeugungen der Studienteilnehmer*innen stabil blieben, begann sich das Leben derer mit Grundeinkommen zu verändern. Sie trafen neue Entscheidungen, gingen andere Wege – im Vergleich zur Kontrollgruppe ohne Grundeinkommen. Viele von ihnen:
wechselten den Job oder begannen eine neue Tätigkeit
starteten ein Studium oder eine Weiterbildung
spendeten mehr Geld an gemeinnützige Zwecke
unterstützten Freund*innen, Partner*innen und Familie stärker finanziell
verbrachten mehr Zeit mit ihren Liebsten und den Dingen, die ihnen wichtig waren
Gleich gedacht, anders gemacht: Verhalten ändern, ganz ohne neue Überzeugungen
Was zunächst wie ein Widerspruch klingt, ist in Wahrheit eine ganz zentrale Erkenntnis der Studie: Menschen müssen gar nicht ihre Haltung ändern, um sich anders zu verhalten. Sie müssen aber die Möglichkeit bekommen, Dinge anders zu machen. Einfach, weil sie es können.
Oder, wie es Prof. Dr. Susann Fiedler in unserem Podcast Bedingungslos: Die Wahrheit über das Grundeinkommen ausdrückt: "Wir brauchen nicht, dass Menschen sich ändern. Wir müssen nur Handlungsspielräume verändern, damit was anderes passiert."
Ein gutes Beispiel dafür ist das Thema Risikobereitschaft. Menschen mit Grundeinkommen wechseln den Job, beginnen eine Weiterbildung oder ein Studium – und sagen gleichzeitig von sich selbst: Ich bin nicht risikofreudiger geworden. Susann erklärte uns das so:
Mal angenommen, du bist ein Schisser - und ich sage dir jetzt, du kannst mit mir Karussell fahren gehen. Da sagst du: 'Nein, das ist nichts für mich.' Und dann zeige ich dir das Karussell, und das hat um sich herum überall Watte. Es ist völlig klar, da kann nichts passieren - und jetzt willst du also plötzlich doch Karussell fahren. Danach würdest du auch nicht glauben: 'Oh, jetzt bin ich weniger ein Schisser', sondern: 'Das war einfach ein Ausnahme-Karussell'.
Prof. Dr. Susann Fiedlerist die Verhaltensforscherin im Pilotprojekt
Das Grundeinkommen ist also ein Ausnahme-Karussell: Es verändert unseren Handlungsspielraum. Wir fühlen uns sicherer – und müssen deshalb gar nicht risikobereiter werden, um mutige Entscheidungen zu treffen.
Eine kleine, aber wichtige Ausnahme zeigt sich mit Blick auf die Einstellungen: Die Teilnehmenden mit Grundeinkommen schätzen sich im Verlauf der Studie dann doch als altruistischer ein – also als hilfsbereiter, ohne daraus einen Vorteil für sich selbst zu ziehen.
Und jetzt? Die große Erkenntnis bleibt für uns, so oder so: Du musst nicht erst ein neuer Mensch werden, um dich anders zu verhalten.
Das Grundeinkommen verändert keine Weltanschauungen über Nacht. Aber es verändert, was Menschen für möglich halten. Unsere Studie zeigt, wie stark sich Verhalten verändert, wenn Menschen finanzielle Sicherheit und dadurch Freiheit spüren. Und sie legt offen, wo Veränderung in unserer Gesellschaft wirklichbeginnt: Nicht bei der Ideologie, sondern bei den Möglichkeiten.
Die Forschung braucht dich
Unsere Arbeit ist nur dank unserer Crowdhörnchen möglich: Zusammen legen wir den Grundstein für das Bedingungslose Grundeinkommen!
Und du? Würdest du mit Grundeinkommen Entscheidungen treffen, die du dir heute (noch) nicht zutraust? Oder bist auch du manchmal mutiger, als du dich fühlst? Erzähl es uns in den Kommentaren!
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