Eine von Milliardär*innen finanzierte Organisation kämpft in den USA dafür, alle Praxistests zum Grundeinkommen per Gesetz verbieten zu lassen. Was hat das reichste eine Prozent gegen das Grundeinkommen? Und drohen uns in Deutschland ähnliche Attacken aus der Lobby der Superreichen?
Die Grundeinkommen-Bewegung in den Vereinigten Staaten hat gerade mit einem Gegner zu kämpfen, der finanziell bestens ausgestattet und angriffslustig ist – und das ausgerechnet in einer Zeit, in der die Idee des Bedingungslosen Grundeinkommens dort so erfolgreich ist wie lange nicht mehr: Mehr als 150 Pilotprojekte zum Grundeinkommen in 24 US-Bundesstaaten laufen aktuell (alle Links in englischer Sprache) oder wurden erst kürzlich abgeschlossen.
Viele der aktuellen Grundeinkommen-Tests gehen auf die Arbeit der Organisation Mayors for Guaranteed Income (MGI), übersetzt "Bürgermeister*innen für garantierte Einkommen", zurück. Etwa in Kalifornien, wo 125 Menschen zwei Jahre lang mit 500 US-Dollar pro Monat unterstützt wurden. Wichtigste Ergebnisse des Pilotprojekts: Die Vollzeitbeschäftigung nahm doppelt so schnell zu wie in der Kontrollgruppe und die psychische Gesundheit aller Teilnehmenden verbesserte sich deutlich.
Solche Resultate stärken natürlich die Argumente für ein Bedingungsloses Grundeinkommen – einigen extrem wohlhabenden Menschen gefällt das offenkundig gar nicht.
Schon im März 2021 und Ende 2022 wurde in Texas versucht, neue Grundeinkommen-Projekte zu verhindern. Beide Versuche scheiterten. Im April 2023 sollten in Wisconsin weitere Pilotprojekte verboten werden. Der Gesetzentwurf wurde vom Repräsentantenhaus und Senat von Wisconsin beschlossen – nur das Veto von Gouverneur Tony Evers verhinderte dies gerade noch. Im Januar 2024 wurde der texanische Generalstaatsanwalt aufgefordert, Grundeinkommen-Pilotprojekte für verfassungswidrig zu erklären.
Seit diesem Jahr geht der Kampf gegen das Grundeinkommen landesweit so richtig los: Es gibt bereits Gesetzesentwürfe in Iowa, West Virginia, South Dakota, Arizona und Arkansas. Alle enthalten sehr ähnliche Formulierungen – spätestens jetzt wird klar, dass koordinierter Lobbyismus hinter den Gesetzentwürfen stecken muss. Aber von wem?
Meine Recherchen enttarnen nicht nur, dass sich entsprechende Gesetzesinitiativen in insgesamt sieben Bundesstaaten auf die Foundation for Government Accountability (FGA) zurückführen lassen. Das ist eine Lobbyorganisation, die sich als grundsolide Stiftung zur Kontrolle der Regierung gibt, deren Argumente aber auf einer von Milliardär*innen finanzierten Schrott-Wissenschaft basieren, die jeder Mensch kennen sollte.
Die Recherchen enthüllen auch eine Welt aus bösem Geld und schädlichen Gesetzen, die sich das eine Prozent Superreicher wünscht, um die eigene Steuerlast zu senken und die Macht der anderen 99 Prozent zu schwächen.
Wer hat's aufgedeckt?
Scott Santens erklärt den Amerikaner*innen seit mehr als zehn Jahren das Grundeinkommen. Er ist Gründer der Stiftung ITSA Foundation, die Forschung und Tests zum Grundeinkommen fördert, und Chefredakteur des Magazins Basic Income Today. Seine komplette Recherche kannst du hier im englischen Original lesen. Für dich übersetzt und verdichtet hat sie der freie Journalist Christian Gaca aus Berlin.
Bragdon beschreibt das Ziel seiner Organisation so: Er möchte "Amerika wieder zu einem Land transformieren, in dem Unternehmertum gedeiht, persönliche Verantwortung belohnt wird und Gehaltsschecks Sozialhilfeschecks ersetzen". Sie wolle zudem "mehr Amerikaner*innen die lebensverändernde Kraft der Arbeit geben, sowohl auf Landes- als auch auf Bundesebene".
An dieser Stelle sei kurz daran erinnert, dass ein Bedingungsloses Grundeinkommen ganz anders funktioniert als Sozialhilfe: Es wird nicht auf den Arbeitslohn angerechnet, weshalb so viele Pilotprojekte zu einer erhöhten Beschäftigungsquote bei den Empfänger*innen führen. Genauso faszinierend ist die große Zunahme von Unternehmertum während der Pilotphasen.
Eine Lobbygruppe, die eigentlich gar nicht lobbyieren dürfte
Obwohl es sich bei der FGA um eine Organisationsform handelt, der Lobbyarbeit gesetzlich untersagt ist, verfügt sie mit der FGA Action, Inc. über eine Art Lobbying-Abteilung, die als Opportunity Solutions Project auftritt. Tarren Bragdon ist der Geschäftsführer beider Institutionen. Das Jahresbudget der FGA wuchs von 212.000 US-Dollar im Jahr 2011 stetig auf über 14 Millionen US-Dollar im Jahr 2022 an. Die FGA hat offensichtlich einen Pool reicher Wohltäter*innen angezogen.
Die Lobby-Abteilung der FGA verfolgt mehrere Interessen, oft sozialpolitische: etwa erweiterte Arbeitsanforderungen für alle Menschen in allen staatlichen Hilfsprogrammen, die Rücknahme des Schutzes vor Kinderarbeit oder das systematische Angreifen zivilgesellschaftlicher Wahlinitiativen zum Schutz des Abtreibungsrechts. Ihr jüngster Kampf richtet sich nun gegen das Bedingungslose Grundeinkommen.
Am 13. Februar dieses Jahres zeigte die FGA mit der Veröffentlichung ihres Positionspapiers "Why States Should Ban Universal Basic Income Schemes", übersetzt "Warum Staaten Grundeinkommen-Projekte verbieten sollten", öffentlich ihren Widerstand. Die Hauptthese darin: Das Grundeinkommen verhindere Arbeit.
Mit falschen Fakten gegen das Grundeinkommen
Beweise für diese Aussage liefert das Papier freilich nicht mit. Es ist schon amüsant, dass der Text praktisch für jeden Satz eine Quelle liefert, mit Ausnahme dieser beiden Sätze: "Diese Programme schwächen Arbeit ab und fördern eine zunehmende Abhängigkeit von staatlichen Almosen auf Kosten der individuellen Verantwortung." Und: "Durch die Bereitstellung großzügiger Leistungen, die das Einkommen ersetzen sollen, hält das Bedingungslose Grundeinkommen den Einzelnen davon ab, zu arbeiten."
Eine von Expert*innen begutachtete, systematische Überprüfung von 38 Studien zum Grundeinkommen aus dem Jahr 2020 kam derweil zu einem ganz anderen Ergebnis (ich habe die wichtigsten Stellen fett markiert): "Trotz eingehender Suche haben wir keine Beweise für einen signifikanten Rückgang des Arbeitsangebots gefunden. Stattdessen fanden wir Hinweise darauf, dass das Arbeitskräfteangebot bei Erwachsenen, Männern wie Frauen, jungen und alten Menschen insgesamt zunimmt und dass es einige unbedeutende und funktionale Verringerungen des Systems gibt, wie z. B. einen Rückgang der Arbeitskräfte aus den folgenden Kategorien: Kinder, ältere Menschen, Kranke, Menschen mit Behinderungen, Frauen mit kleinen Kindern in Betreuung und junge Studierende. Diese Rückgänge führen nicht zu einer Verringerung des Gesamtangebots an Arbeitskraft, da sie größtenteils durch ein erhöhtes Angebot von anderen Mitgliedern der Gemeinschaft ausgeglichen werden."
Alle Berichte der neueren Pilotprojekte zum Grundeinkommen, die seit dieser Überprüfung veröffentlicht wurden, haben diese Schlussfolgerungen weiter untermauert.
Warum wir über die Vermögensteuer diskutieren
Lässt sich das Grundeinkommen durch eine Vermögensteuer finanzieren? Wie würde das die Gesellschaft verändern? Unser Schwerpunkt "Das kostet ein Vermögen!" gibt Antworten.
Eine Woche nach der Veröffentlichung ihres Anti-Grundeinkommen-Papiers platzierte die FGA einen Kommentar in den Dallas Morning News – ein typischer Teil einer Lobby-Gesamtstrategie. Der Kommentar verschwieg die positiven Ergebnisse des Pilotprojekts in Texas, die erst einen Monat zuvor veröffentlicht worden waren. Stattdessen stellte der Kommentar lange überholte Behauptungen auf, die auf den Grundeinkommen-Pilotprojekten aus den 1970er Jahren basierten.
SourceWatch zufolge war zwischen 2014 bis 2021 der größte Einzelspender der FGA die Ed Uihlein Family Foundation mit einem Gesamtbeitrag von 17,85 Millionen US-Dollar. Die Uihleins, ein Ehepaar in ihren 70ern, besitzen rund fünf Milliarden US-Dollar. Zusammen ist das Paar viertgrößter Spender für politische Kampagnen in den USA und hat nach eigenen Angaben über 190 Millionen US-Dollar gespendet.
Der zweitgrößte Spender der FGA ist der Donors Trust und seine Tochterorganisation Donors Capital Fund mit einem Gesamtbeitrag von 17,2 Millionen US-Dollar zwischen 2014 bis 2022. Von zwei aktivistischen Libertären gegründet, zählen beide zu den einflussreichsten konservativen Organisationen überhaupt. Im Jahr 2013 nannte die Investigativ-Plattform Mother Jones sie "Geldautomaten für Schwarzgeld der Rechten".
Der Donors Trust ermöglicht es Superreichen, die Millionen spenden wollen, dies anonym zu tun: Wer als reiche Person die Idee des Grundeinkommens und die damit verbundenen Steuererhöhungen nicht mag, spendet an den Donors Trust, gibt der FGA so direkt Geld – aber schützt gleichzeitig die eigene Identität vor denjenigen, die gerne wissen würden, wer da gegen das Bedingungslose Grundeinkommen kämpft.
Nach weiteren relevanten Millionenspender*innen ist der achtgrößte Geldgeber der 85 Fund mit einem Gesamtvolumen von immerhin noch zwei Millionen US-Dollar im Jahr 2020. Der Fund gehört Leonard Leo. Er ist der Hauptverantwortliche für den rechtskonservativen Umbau des Obersten Gerichtshofs der USA und die Aufhebung der jahrzehntelang gültigen Regelung zu den Abtreibungsrechten von Frauen, bekannt als "Roe vs. Wade".
Zudem ist Leonard Leo einer der produktivsten Spendensammler in der amerikanischen Politik: Unter seiner Aufsicht haben Gruppen in seinem Umfeld mehr als 600 Millionen US-Dollar gesammelt. 2021 erhielt er von dem Milliardär Barre Seid eine Kriegskasse von 1,6 Milliarden US-Dollar, die größte Spende für politische Interessenvertretung in der Geschichte der USA.
Natürlich bleibt diese Liste der Geldgeber*innen unvollständig. Menschen mit großem Vermögen können quasi eine unvorstellbare Menge Geld auf verschiedenen Wegen weitergeben und dabei ihre Identität verbergen. Aber das Gesamtbild ist klar: Ein komplexes Ökosystem offiziell gemeinnütziger Organisationen wurde aufgebaut, das nur zu einem Hauptzweck betrieben wird: den enormen Reichtum der Wohlhabenden vor höheren Steuern zu beschützen.
Darum, glaube ich, unterstützt eine Handvoll wohlhabender Spender*innen die Bemühungen der FGA im Kampf gegen das Bedingungslose Grundeinkommen. Denn es gibt einfach kein politisch realistisches Grundeinkommen, das jemals die Steuern für Milliardär*innen senken würde.
Das ist es, was die FGA antreibt: die Angst vor einer Welt, in der die Ungleichheit etwas geringer ist und die untere Hälfte der Bevölkerung etwas mehr Macht bekommt, sich der Dominanz der Superreichen zu verweigern. Derjenigen, die sich daran gewöhnt haben, dass so viele Menschen, die keine Macht haben, etwas anderes als "Ja" sagen.
Das alles bedeutet nicht, dass jede*r Milliardär*in automatisch gegen das Bedingungslose Grundeinkommen ist. Es gibt tatsächlich Superreiche, die schon ihre Unterstützung zum Ausdruck gebracht haben, darunter Mark Zuckerberg, Elon Musk, Tim Draper, Bill Gross, Pierre Omidyar, Marc Benioff und Richard Branson. Der Twitter-Mitgründer Jack Dorsey und seine Spenden haben dazu beigetragen, viele der über 150 Pilotprojekte zum Grundeinkommen in den USA zu finanzieren.
Einer der Gründe, warum ich persönlich das Grundeinkommen für so wichtig halte, ist, dass es eine Möglichkeit für mehr Menschen aus der Arbeiter*innenklasse bedeutet, selbst zu spenden: Eine Person, die heute zehn Millionen Dollar spendet, könnte durch eine Million Menschen ersetzt werden, die je zehn Dollar spenden. Kombiniert mit einem nationalen Programm, das kleine Spenden mit öffentlichen Mitteln verdoppelt, ließe sich so auch die Macht eines superreichen Spenders oder einer Spenderin von einer großen Menge Kleinspender*innen schnell übertönen.
Dranbleiben! Mit dem wichtigsten Newsletter zum Grundeinkommen
Der Haken an der Sache ist: Es wird schwierig, das Bedingungslose Grundeinkommen ohne ein Bedingungsloses Grundeinkommen zu etablieren. Aber sobald das Grundeinkommen staatlich eingeführt ist, werden so viele weitere Dinge möglich. Nur müssen dafür zuerst die politisch motivierten Milliardär*innen stärker besteuert und die Macht ihrer Dollars spürbar untergraben werden – im Gegenzug für politische Anliegen und Kandidat*innen, die die Mehrheit des Volkes wirklich unterstützt.
Das ist jene Welt, die die FGA und ihre Spender*innen fürchten: den Machtverlust und die erfolgreichen Ergebnisse der Pilotprojekte zum Bedingungslosen Grundeinkommen. Sie wollen nicht, dass jede*r weiß, wie gut das Grundeinkommen funktioniert. Sie wollen nicht, dass die Menschen das Grundeinkommen wollen. Eine Welt voller Menschen, die dadurch gestärkt werden, macht ihnen Angst.
Was mich betrifft, ich sehe uns alle in dieser Welt. Ich höre nie auf dafür zu kämpfen, bis wir alle drin sind.
Was denkst du? Siehst du ähnliche Netzwerke gegen gerechte Sozialreformen auch in Deutschland? Schreib es uns in die Kommentare!
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