Sebastian Klein weiß, wie es ist, sehr reich zu sein. Der Unternehmer machte mit seiner App Blinkist ein Vermögen – und gab es vor einem Jahr fast komplett wieder ab. Denn der Ex-Multimillionär sagt: Extremer Reichtum zersetzt die Gesellschaft und zerstört die Demokratie. Kurz vor der Wahl wollen wir von ihm wissen: Wie gerecht ist dieser Wahlkampf, Sebastian?
Dieser Wahlkampf löst bei mir in erster Linie Wut und Unverständnis aus: Deutschland hat ein Demokratieproblem, und zwar von rechts – aber auch durch die steigende Ungleichheit. Beides hängt klar zusammen: Weil wir eine so extrem ungleiche Gesellschaft sind, weil der Wohlstand der Gesellschaft bei einer sehr kleinen Gruppe konzentriert ist, glauben viele Menschen den Versprechen der Demokratie nicht mehr und unterstützen auch deshalb extreme Parteien. Daher ist es so wichtig, jetzt die Ungleichheit zu reduzieren.
Wirklich fassungslos macht mich aber, dass konservativen Politiker*innen jetzt nichts wichtiger ist, als sich gegen "grün" abzugrenzen. Mein Eindruck ist, dass hier egoistische Machtinteressen überwiegen, die Verantwortung für die Gesellschaft und der Schutz der Demokratie werden hintangestellt. Wir sollten aus unserer Geschichte eigentlich wissen, dass in Zeiten wie diesen alle Demokrat*innen klar gegen die Feinde der Demokratie Position beziehen müssen.
Wir sehen in den USA doch gerade jeden Tag, dass der extreme Reichtum einzelner eine handfeste Gefahr für die Demokratie ist. Entweder wir kriegen das gelöst, oder wir leben auch bald in einer Oligarchie wie in den USA. Das müsste doch ein zentrales Thema des Wahlkampfes sein.
Sebastian Kleinwar selbst mal steinreich – sieht extremen Reichtum aber als Gefahr für die Demokratie
Die Einsicht, dass wir auch was gegen die Ungleichheit tun müssen, wenn wir unsere Demokratie erhalten wollen, scheint dabei komplett zu fehlen. Die Wahlprogramme der meisten Parteien sehen zwar eine Umverteilung vor – allerdings von unten nach oben. Also das genaue Gegenteil dessen, was wir brauchen.
Politiker*innen wie Friedrich Merz haben enge Verstrickungen zum großen Geld und den Geschäftsmodellen der Vergangenheit. Das lässt mich wirklich sehr daran zweifeln, ob wir die großen Probleme unserer Zeit in den nächsten Jahren angehen werden.
Das sind die echten Probleme unserer Zeit – über die kaum jemand spricht
Ja, Deutschland steht vor großen Herausforderungen. Aber nicht vor denen, mit denen jetzt Wahlkampf gemacht wird: Wir müssen den Übergang zu einer klimafreundlichen Wirtschaft schaffen. Das hat nichts mit "grüner Ideologie" zu tun, sondern sollte aus reinem Eigennutz geschehen.
Die deutsche Wirtschaft ist schon heute ein Auslaufmodell. Wenn wir in Zukunft unseren Wohlstand erhalten wollen, müssen wir sie besser heute als morgen zukunftsfähig machen und transformieren. Die fossilen Geschäftsmodelle der Vergangenheit zu verteidigen, mag kurzfristig den Eigentümer*innen der Unternehmen Profite bescheren. Mittel- und langfristig wird es einen Wohlstandsverlust für uns alle bedeuten.
"Unerträglich, dass jetzt wieder Wahlkampf auf Kosten derer gemacht wird, die eh schon am wenigsten haben." Der Ex-Multimillionär Sebastian Klein. Fotos: Annette Riedl, Frederik Lorenz, Jan-Philipp Welchering
Wer spricht hier?
Sebastian Klein erfindet 2012 mit Freunden die App Blinkist, die trockene Bücher in wenigen Minuten zusammenfasst. Die Idee wird so erfolgreich, dass die Gründer sie für sehr viel Geld verkaufen. Aber statt seine Millionen zu genießen, fördert der 42-Jährige damit lieber gute Ideen für eine bessere Welt. Am 19. Februar war Sebastian Klein zu Gast in unserer Verlosung. Wir haben ihn gefragt, welche Lösungen er gegen die gefährliche Ungleichheit er vorschlägt.
Auch das hängt natürlich wieder mit der Ungleichheit zusammen. Uns wird ja gern verkauft, dass die große Ungleichheit, die wir gerade erleben, irgendwie gut für die Wirtschaft sei. Das Gegenteil ist der Fall: Die OECD schätzt, dass die deutsche Wirtschaft um sechs Prozent größer wäre, hätten wir weniger Ungleichheit bei den Einkommen. Viele Studien kommen zum Schluss, dass Ungleichheit eine Wirtschaft instabil, krisenanfällig, weniger innovativ und insgesamt weniger dynamisch macht.
Insofern ist es auch kein Wunder, dass Deutschland – obwohl wir so unfassbar reich sind – fast alle wirtschaftlichen Trends verschläft und bei den Zukunfts-Technologien kaum eine Rolle spielt.
Außerdem geht in all dem populistischen Lärm komplett unter, dass die extreme Vermögenskonzentration – ein paar tausend Familien besitzen hier ja ein Fünftel des Vermögens – eine riesige Bedrohung für die Demokratie darstellt. Dabei sehen wir in den USA doch gerade jeden Tag, dass der extreme Reichtum einzelner eine handfeste Gefahr für die Demokratie ist. Entweder wir kriegen das gelöst, oder wir leben auch bald in einer wie in den USA. Das müsste doch ein zentrales Thema des Wahlkampfes sein.
Wie wir über Armut sprechen, ist Populismus übelster Sorte
Ich finde es unerträglich, dass jetzt wieder Wahlkampf auf Kosten derer gemacht wird, die eh schon am wenigsten haben – und die sich am wenigsten wehren können. Wir haben ein Verteilungsproblem in Deutschland. Das besteht aber nicht darin, dass wir Bürgergeldempfänger*innen und Geflüchtete zu großzügig unterstützen. Wer behauptet, dass sich dort relevante Summen einsparen lassen, lügt. Das ist Populismus übelster Sorte.
Wir leben in einem unglaublich reichen Land, in dem aber ein Fünftel der Menschen armutsgefährdet ist. Die Hälfte der Bevölkerung besitzt praktisch nichts. Gleichzeitig werden in Deutschland jedes Jahr geschätzte 400 Milliarden leistungsloses Einkommen in Form von Erbschaften erzielt. In den Kassen des Staates landet davon so gut wie nichts, denn gerade die großen Erbschaften werden meist steuerfrei von einer Generation auf die nächste übertragen.
In einer Wirtschaft, die wie unsere kaum wächst, wird praktisch kein neues Vermögen aus Arbeit geschaffen. Die Leistungsgesellschaft, in der jede*r es schaffen kann, ist ein Märchen. Denn wir sind eine Erbengesellschaft: Die, die wirklich reich sind, sind es meist qua Geburt. Das Unerträgliche daran ist die Ungerechtigkeit, dass Menschen, die Milliarden erben, darauf meist keine Steuern bezahlen. Dabei sieht unser Grundgesetz doch vor, dass die mit den größten Möglichkeiten auch am meisten zum Gemeinwesen beitragen sollen.
Gerade Markus Söder, der eine reiche Erbin geheiratet hat und gern gegen die Erbschaftsteuer hetzt, sollte einfach mal in seine bayerische Verfassung schauen. Dort steht: "Die Erbschaftssteuer dient auch dem Zwecke, die Ansammlung von Riesenvermögen in den Händen einzelner zu verhindern."
Was wir jetzt wirklich brauchen, ist eine positive Vision, wie wir unsere Gesellschaft weiterentwickeln können. Wir sind als Land unfassbar reich, die meisten Menschen sind gut ausgebildet. Leider reden wir ständig nur über unsere Probleme, oft auch populistisch konstruierte Probleme. Warum reden wir so wenig über die vielen Möglichkeiten, die wir haben? Warum nicht aktiv darauf hinwirken, dass es gut wird?
Sebastian Kleinwill, dass wir endlich wieder über Lösungen reden, die allen nützen
Was mir in dem Zusammenhang auch fehlt: Wo bleibt der Aufschrei aus der Mitte der Gesellschaft? Menschen, die von Arbeitseinkommen leben, zahlen nämlich rund die Hälfte ihres Einkommens an Steuern und Abgaben. Während gleichzeitig die Infrastruktur vor unseren Augen von Jahr zu Jahr schlechter wird.
Ich glaube, den meisten Menschen ist nicht klar, dass sie weniger abgeben müssten und gleichzeitig die Schulen und andere Infrastruktur besser sein könnten, wenn die Reichsten, die ihr Einkommen nicht aus Arbeit, sondern aus Erbschaft, Immobilienbesitz und Investitionen beziehen, ihren fairen Teil zum Gemeinwesen beitragen würden. Die meisten Menschen bemerken offenbar nicht, dass die Steuergesetze heute sehr zu ihren Ungunsten liegen.
Die größte Bedrohung für unsere Demokratie ist der extreme Reichtum
Extremer Reichtum ist aber nicht nur problematisch, weil er extreme Ungleichheit schafft. Er befeuert auch den Klimawandel, spaltet und zersetzt unsere Gesellschaft und zerstört letztlich die Demokratie.
Wir sehen das ja gerade in den USA sehr deutlich: Wenn eine kleine Minderheit extrem reicher Männer nicht nur die Wirtschaft kontrolliert, sondern auch die Medien und die Politik, dann ist das beim besten Willen keine Demokratie mehr. Ich finde, wir müssen es als großen Luxus begreifen, dass wir noch in einer liberalen Demokratie leben. Und wir müssen sie unter allen Umständen verteidigen.
Unsere demokratische Grundordnung sieht vor, dass alle Menschen ein Leben in Würde führen können sollen. Das bedeutet selbstverständlich, dass es nicht sein kann, dass Millionen in Armut leben, während die Reichsten immer reicher werden. An dieser bedauerlichen Lage sind auch die vielen Lobbyorganisationen Schuld, die von den Reichsten im Land finanziert werden.
Dranbleiben! Mit dem wichtigsten Newsletter zum Grundeinkommen
Die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM), mit der ja auch Friedrich Merz verbandelt ist, finanziert Desinformations-Kampagnen und war auch für die Schmutzkampagne gegen Annalena Baerbock in der letzten Bundestagswahl verantwortlich. Sie geriert sich als Vertretung der deutschen Wirtschaft, obwohl es hier nur um die Interessen einer kleinen Gruppe geht.
Das gleiche gilt auch für die Stiftung Familienunternehmen. Deren Name klingt nicht rein zufällig nach Mittelstand und Handwerksbetrieb. Wenn sie sich Lobbyorganisation deutscher Oligarchen nennen würde, würde sie sicher seltener in Talkshows eingeladen.
Wie eng Politik und großes Geld hier längst verstrickt sind, zeigt schon, dass die CDU unter Merz Forderungen von Unternehmen, mit denen Merz eng verbunden ist, im Wortlaut in ihr Programm übernimmt.
Das alles muss sich dringend ändern
Was wir jetzt wirklich brauchen, ist eine positive Vision, wie wir unsere Gesellschaft weiterentwickeln können. Wir haben ja alle Voraussetzungen für eine glänzende Zukunft: Wir sind als Land unfassbar reich, die meisten Menschen sind gut ausgebildet. Unsere Infrastruktur haben wir die letzten Jahrzehnte etwas vernachlässigt, aber es wäre mehr als genug Geld da, um massiv in die Zukunft zu investieren. Für mich muss hier aber der Staat vorangehen.
Apropos Staat: Diese Parteien wollen das Grundeinkommen:
Große Transformationen hat immer der Staat finanziert, und so wird es auch mit dem Umbau unserer Wirtschaft sein. Leider reden wir ständig nur über unsere Probleme, oft auch populistisch konstruierte Probleme. Warum reden wir so wenig über positive Zukunftsvisionen? Über die vielen Möglichkeiten, die wir haben?
Ich bin mir sicher, wir können unsere Wirtschaft und unsere Gesellschaft als Ganzes positiv weiterentwickeln. Die wird in 20, 30 Jahren sowieso ganz anders aussehen als heute. Warum nicht aktiv darauf hinwirken, dass es gut wird?
Sebastian Klein: "Toxisch Reich - Warum extremer Reichtum unsere Demokratie gefährdet". Erschienen am 03. Februar 2025 im Oekom Verlag.
Wie siehst du das?
Über die gefährliche Wirkung extrem Reicher auf unsere Gesellschaft hat Sebastian Klein gerade das Buch "Toxisch Reich" geschrieben. Darin fragt er: Wie kann es sein, dass manche Ausflüge in den Weltraum machen – während andere nicht mal ihre Heizrechnung bezahlen können? Hat Sebastian Klein recht? Ist dieser Wahlkampf auf dem sozialen Auge blind? Sag uns deine Meinung in unserer kurzen Umfrage zur Bundestagswahl. Nur noch bis Sonntag!