Wenn es stimmt, dass das Grundeinkommen alles verändert – gilt das dann auch für den Blick auf die Wahl am Sonntag? Wie schauen unsere Gewinner*innen auf den Wahlkampf? Was fordern sie von der Politik nach der Wahl? Ein Rentner, eine Gutverdienerin und eine Frau, die mit fünfzig nochmal ganz neu anfing, erzählen:
Symbolbild: Shutterstock
"Wenn wer was für meine Rente tut, könnte das den Ausschlag geben"
GEWINNER JOACHIM (66) AUS FLENSBURG IN SCHLESWIG-HOLSTEIN
"2024 war Kacke", sagt Joachim. Da sei nämlich sein 17 Jahre alter Jaguar kaputtgegangen. Wirtschaftlicher Totalschaden, die Werkstatt konnte nichts mehr für ihn tun. Joachim hat den grauen Jaguar 2010 gekauft und ist überzeugt: "Es war das beste Auto."
"Es war das beste Auto." Auch Rentner*innen wie Joachim sind oft auf ein Auto angewiesen. Was, wenn es kaputt geht? Symbolbild: Shutterstock
Inzwischen fährt Joachim einen Renault, für den er 15.000 Euro bezahlt hat. Viel Geld für jemanden, bei dem sowieso schon alles "knapp auf Kante genäht" ist, wie er sagt. Wenn er sich an die alljährlichen Briefe von der Rentenkasse erinnert, in denen steht, wie viel man mal ausgezahlt bekommt, sagt er trocken: "Guck dir die kleinste Zahl an und zieh davon noch etwas ab. Dann kennst du deine spätere Rente."
Joachim hat die letzten 30 Jahre als Speditionskaufmann gearbeitet. In der Corona-Pandemie wurde erst sein Gehalt gekürzt, dann verlor er seinen Job ganz. So musste er schon mit 63 in Rente gehen: "Dadurch habe ich zehn Prozent meiner Rente verloren."
Joachim hat zwar ein Haus geerbt, in dem er leben kann und für das er keine Miete zahlt, aber auch hier wird’s gerade teurer für ihn: Früher habe er 119 Euro Grundsteuer bezahlt – auf dem aktuellen Bescheid stehen satte 500,42 Euro.
Wie wählt jemand wie Joachim bei der Bundestagswahl, dessen Leben sich gerade an allen Ecken und Enden verteuert? "Wenn wer was für meine Rente tut, könnte das den Ausschlag geben", antwortet er. Noch scheint er unentschlossen. Er wolle mal den Wahl-O-Mat ausprobieren.
Eine gute Nachricht gab es für Joachim zwischen den ganzen finanziellen Hiobsbotschaften: Im November gewann er bei unserer Jubiläumsverlosung ein Realistisches Grundeinkommen. Jetzt bekommt der 66-Jährige aus dem hohen Norden drei Jahre lang immer am Anfang des Monats 1.200 Euro ausgezahlt. Seine Rente wird ihm dabei als Einkommen angerechnet. So zahlt Joachim am Ende des Monats 651 Euro von seinem Gewinn in den Grundeinkommenstopf zurück.
Große Pläne hat unser 1943. Gewinner noch nicht mit seinem Grundeinkommen, nur soviel: Er möchte sich eine neue Brille kaufen, weil er inzwischen schlechter sieht. Und einen Fernseher.
Foto: Matthias Sandmann
"Mit dem Grundeinkommen würde ich in unsere Gesellschaft investieren, die gerade auseinanderzubrechen beginnt"
GEWINNERIN RACHEL (46) AUS KRONAU IN BADEN-WÜRTTEMBERG
"Ich habe das große Glück, dass der Job, den ich gerne mache, auch gut bezahlt wird", erzählt uns Rachel. Wer kann das schon von sich sagen? Trotzdem sei das Grundeinkommen für die Wirtschaftsmathematikerin der Auslöser gewesen, ihr Leben noch freier zu denken und zu planen.
Seit ihrem Gewinn hat sich Rachel stärker mit dem Thema Grundeinkommen beschäftigt: "Ich habe viel gelesen – unter anderem Was würdest du tun? – und das Puzzle, aus dem sich meine politische Einstellung zusammensetzt, um viele neue Teile erweitert."
Rachel hat sich auch mit der Finanzierung eines Grundeinkommens für alle auseinandergesetzt. Weil sie so gut verdient, gehört die Baden-Württembergerin zu denen, die mit einem echten Bedingungslosen Grundeinkommen am Ende des Monats weniger Geld in der Tasche hätten. An ihrer Einschätzung ändert das nichts: "Mit dem Grundeinkommen für alle würde ich etwas in unsere Gesellschaft investieren, die gerade aufgrund der vielen Krisen auseinanderzubrechen beginnt. Weniger Geld in der Tasche fühlt sich für mich hier nicht nach einem Verlust an."
So blickt ein Ex-Multimillionär auf unsere Sozialpolitik:
Eine große Gefahr sieht Rachel in der "zunehmenden Einkommens- und Vermögensspreizung: Die Schere zwischen Arm und Reich geht immer weiter auseinander." Auch seien die Folgen einer eben nicht so sozialen Marktwirtschaft ganz schön teuer: "Das Jobcenter, die Behandlung von Depressionen, Burnout und Kriminalitätsbekämpfung. Es ist für mich plausibel, dass das alles in einer Gesellschaft mit Grundeinkommen deutlich geringere Dimensionen annehmen würde."
Mit großer Anspannung schaut Rachel auf die Wahl: "Diese Bundestagswahl scheint ein Schlüsselmoment zu sein. Noch nie war die Entscheidung so schwer."
Foto: Fabian Melber
"Ich möchte als mündige Bürgerin dieses Landes ernst genommen und gesehen werden."
GEWINNERIN ASTRID (61) AUS BAD OLDESLOE IN SCHLESWIG-HOLSTEIN
Astrid hat unser 20. Grundeinkommen gewonnen. Obwohl schon zehn Jahre her, wirken Astrids Erfahrungen mit ihrem Gewinn bis heute nach. Sie beeinflussen sogar ihren Blick auf die Bundestagswahl.
"Als ich damals das Grundeinkommen bekam, war ich alleinerziehende Mutter von drei erwachsenen Kindern, eins ging noch zur Schule", erzählt die heute 61-Jährige. Geld habe immer sehr im Fokus gestanden – weil es nicht da war. Sie sagt: "Mich hat das sehr belastet und unlocker gemacht."
"Mit dem Grundeinkommen wagte ich den Schritt." Sofort nach ihrem Gewinn ließ sich Astrid zur Trauerrednerin ausbilden. Foto: Franziska Wegner
"Der Grundeinkommensgewinn wirkte wie ein Katalysator für ein Potenzial, das die ganze Zeit auf eine Zündung gewartet hatte", erinnert sich Astrid. Schon lange hatte sie damals eine Ausbildung zur selbständigen Trauerrednerin im Blick: "Mit dem Grundeinkommen wagte ich den Schritt und hielt schon sechs Monate nach dem Gewinn meine erste Trauerrede."
Mit ihrem Gewinn habe sie sich als Teil eines Sozialexperiments gefühlt, das der Frage nachgeht: Wie wirkt dieses Grundeinkommen? Über ihre eigenen Erfahrungen mit dem bedingungslosen Geld sprach Astrid auf Bühnen, mit Zeitungen, vor der Kamera und im Radio. Ihre Stimme habe plötzlich Bedeutung bekommen.
Dass ihre Stimme Bedeutung hat, wünscht sich Astrid nun auch bei der Bundestagswahl: "Ich möchte als mündige Bürgerin dieses Landes ernst genommen und gesehen werden. Wir haben doch alle Kompetenzen, die zum Wohle aller eingebracht werden könnten. Es wäre schön, wenn uns Politiker*innen nicht nur als Steuerzahler*innen oder Kostenverursacher*innen wahrnehmen würden."
Wie siehst du das?
Hat dieser Wahlkampf genug über das Thema soziale Gerechtigkeit gesprochen? Was wünschst du dir von der Politik nach der Wahl? Sag uns deine Meinung in unserer kurzen Umfrage. Nur noch bis Sonntag!